Um sich vorstellen zu können, welche großen Unterschiede die Werke Jacob Böhmes aufweisen, halte man nur einmal die zeitnah entstandenen Werke nebeneinander: So etwa „De Signatura Rerum“ (1622) und – offensichtlich in nur einem Monat niedergeschrieben – „Von der Gnadenwahl“, Anfang Januar bis 8. Februar 1623.(1) Von diesem Werk, der „Gnadenwahl“, ist die Handschrift überliefert, von „De Signatura Rerum“ leider nicht. Der Sprachduktus (verglichen auf Basis der Edition 1730) sowie die Grundgedanken sind in beiden Werken ähnlich, doch wie unterschiedlich wirken Vokabular wie Thema! Beide Werke können als diejenigen gelten, die ausnehmend akademisch auftreten, abgesehen von Böhmes erfrischender rhetorischen Formulierungsphantasie. An diesen beiden Werken zeigt sich besonders deutlich, wieviel die Böhmeforschung, trotz aller enormen Fortschritte in den letzten dreißig Jahren, noch zu tun hat, indem sie erst zu beginnen hat, gerade die Unterschiede der Werke zu verstehen und die daraus zu gewinnenden Erkenntnisse zu ziehen.
Einer klassischen Trennung folgend, lässt sich „De Signatura Rerum“ auf den ersten Blick als ein naturwissenschaftliches Werk lesen (zeitgenössische Alchemie), die „Gnadenwahl“ als ein geisteswissenschaftliches (Theologie). Franz von Baader, der bis heute wohl immer noch ausführlichste Kommentator der „Gnadenwahl“, hat bereits 1829 an diesem Werk Böhmes hervorgehoben, dass dieses sich „am reinsten von Invectiven und sonstigen Beimischungen gehalten hat und weil sie sich wissenschaftlich darstellt.“ (2)
Böhme selbst hält sein Traktat von der „Gnadenwahl“ an anderem Ort für „sehr scharf im Verstande, und eines der kläresten unter meinen Schriften.“ (Clavis 147) Dass er das Kriterium der Klarheit anwendet, um besonders diese Schrift hervorzuheben, könnte übrigens vermuten lassen, dass er um die Unklarheit so mancher anderer seiner Schriften wusste (vgl. z. B.: Briefe 12;78).
Weihnachten 1622 verbrachte Böhme unter diskussionsfreudigen Freunden, außerhalb der Stadt, (vgl. Briefe 39; 3-5) und dabei wurde das calvinistische Problem der „Gnaden-Wahl“ Gottes, bzw. der Prädestination diskutiert und Böhme gebeten, seine Ansichten darüber niederzuschreiben. Bereits die zweite Schutzschrift gegen Balthasar Tilke, 1621, nannte Böhme eine über die „Gnadenwahl“, mit der das große Traktat von Anfang 1623 nicht zu verwechseln ist. Was hat die zeitgenössischen radikalen Reformer, mit denen Böhme Kontakt hatte, an diesem Thema so sehr beschäftigt?
Manche uns fremd erscheinenden Gedanken können wir uns eher verständlich machen, wenn wir von unserem Denken und unserer Sprache ausgehen: Unterliegt diese Welt, diese Natur, einer zwingenden Logik, in der es keinen Zufall gibt, sondern ein strenger und bedingungsloser Determinismus, also einer Lehre von den gesetzmäßigen Bedingtheiten aller Erscheinungen? Noch die Ganzheitsvorstellungen unserer Ökologie, denen zufolge der Schlag eines Schmetterlings mit seinem Flügel einen Wirbelsturm in Amerika auslösen könne, hat etwas von diesem allumfassenden gesamten Wirkungszusammenhang von Natur und Menschenwelt. In solch einer Welt gäbe es keine Freiheit, unser Denken wäre bestimmt durch unsere Eingebundenheit in ganzheitliche Prozesse.
Oder herrscht in unserem Leben Zufall und Freiheit, verläuft die Geschichte chaotisch, ohne Gesetzmäßigkeit außer der, die wir ihr selber geben, herrschen Naturgesetze nur begrenzt in den Bereichen, in denen wir sie feststellen, und folgt unser Empfinden, Denken und Handeln keinerlei vorherbestimmter Gesetzmäßigkeit oder Bestimmung? Unser Handeln unterliegt dann weithin der Freiheit, eingeschränkt nur in den Grenzen, die wir uns selber setzen, und über deren Einhaltung wir selber wachen? Sinn geben wir dem, was wir beurteilen oder zu tun vornehmen, von sich aus gibt es ihn nicht.
Wenden wir diese gegenläufige Weltsicht zwischen einer Welt als Zwangszusammenhang und einer Welt als Verwirklichung von Freiheit und unberechenbarem Zufall in das philosophische Raster der Reformationszeit, theologisieren wir diese klassische Antithese, so fügen sich folgende Fragen hinzu:
Bestimmt die Gottheit dieses Weltgeschehen als allmächtiger Herrscher? Warum lässt er darin das Böse, das Leiden, das Verbrechen, nicht nur zu, sondern baut es offensichtlich bewusst in seine Schöpfung ein? Mehr noch: Durch seine Allmacht vermag er in die Zukunft zu schauen. Wozu prüft er die Menschen, wenn er das Prüfungsergebnis ohnehin schon kennt? Ein solcher Gott kann nicht sehr liebevoll sein. Oder ist er emotional und liebevoll, kämpft er gegen das Böse, das er in Lucifer zuließ, erschafft er den Menschen und überlässt es ihm, selber zu entscheiden, was er zu tun gedenke, und was gutem oder bösem Handeln folge, indem der Ausgang solcher Prüfungen ihm durchaus nicht bekannt sein muss? Dann riskiert er, unserem Verständnis nach, seinen Ruf als allmächtiger Gott, und gestattet den Menschen eine weitgehende Freiheit, über sein Schicksal selber zu bestimmen.
Die calvinistische Antwort klingt so einfach wie brutal: Gott wisse natürlich alles über das Vorher und Nachher unseres Tuns, ja lange vor unserer Geburt steht unser Schicksal, ob wir selig oder verdammt werden, unverbrüchlich fest, und daran können wir durchaus nichts ändern. Dies ist die Prädestination, die Vorbestimmtheit unseres Lebens. Nur wenige werden von Gott aus völlig unerklärlichen Gründen zur Rettung vorgesehen, auch dies bereits vor ihrer Geburt, und diese auserwählten Menschen genießen die „Gnaden-Wahl“ Gottes. Sie ist nicht logisch, nicht sinnlos, nicht unlogisch, nicht böse, nicht gut, sie ist eine unerklärliche Gnade. (3)
Gegen solch abstrakten Rigorismus wendet sich Jacob Böhme. Er beginnt mit der Meinung, dass wir überhaupt nicht sagen können, ob Gott etwas vorherbestimmt oder nicht. Mit einer für die Mystik typischen verneinenden Sprachformel umkreist er einleitend sein Gottesverständnis, indem er nur aufzählen kann, was NICHT der Fall ist:
„Denn man kann nicht von GOtt sagen, daß Er dis oder das sey, böse oder gut, daß Er in sich selber Unterschiede habe. Denn Er ist in sich selber naturlos, sowohl affekt- und kreaturlos. Er hat keine Neiglichkeit zu etwas, denn es ist nichts vor Ihme, dazu Er sich könte neigen, weder Böses noch Gutes: Er ist in sich selber der Ungrund, ohne einigen Willen gegen der Natur und Creatur, als ein ewig Nichts. Es ist keine Qual (Qualität - TI) in Ihme, noch etwas, das sich zu Ihme oder von Ihme könte neigen. Er ist das einige Wesen und nichts ist vor Ihme oder nach Ihme, daran oder darinnen Er sich könnte einen Willen schöpfen oder fassen. Er hat auch nichts, das ihn gebäret oder giebet. Er ist das Nichts und das Alles, und ist ein einiger Wille, in dem die Welt und die ganze Creation lieget. In Ihme ist alles gleich-ewig ohne Anfang, in gleichem Gewichte, Maß und Ziel. Er ist weder Licht noch Finsternis, weder Liebe noch Zorn, sondern das ewige Eine.“ (1;3)
Dies dient einer wichtigen Wendung: Die Gnadenwahl der Calvinisten setzt, so Böhme, einen menschenähnlichen, anthropomorphen Gott voraus, der analog zu den Menschen denkt, entscheidet, verbannt oder erhebt. Nur in dieser Gestalt sei die fatale Prädestination eine Entscheidung, wie Menschen eben darüber entscheiden, wer in den Genuss der Gnadenwahl komme und wer nicht. Dem widerspricht Böhme:
„Die creatürliche Vernunft stehet in dem geformten, gefasseten, ausgesprochenen Worte. Darum ist sie ein bildlich Wesen und denket immerdar, GOtt sey auch ein bildlich Wesen, der sich möge erzürnen und in Eigenschaften zum Bösen und Guten einführen. Inmaßen sie sich denn von diesem hohen Artikul göttlichen Willens hat eingebildet, GOtt habe sich von Ewigkeit einen Vorsatz und Wahl gemachet, was er mit seinem Geschöpf tun wollte, und habe sich also in eine Rache eingeführet, auf daß Er seine Liebe und Barmherzigkeit an seinen Auserwählten könne und möge offenbaren, und müsse also sein Grimm eine Ursache sein, daß seine Barmherzigkeit erkannt werde; welches alles im Grunde also ist, daß GOttes Zorn seine Majestät muß offenbaren gleichwie das Feuer das Licht.“ (2;1)
Der Irrtum liege mithin in einem Spekulieren auf die Absichten und Entscheidungen einer Kraft, die gar nicht entscheidet oder Absichten haben kann. Die Art, wie wir denken, werde auf eine Denkungsart Gottes projiziert, es werde also etwas gleichgesetzt, das nicht zusammen passt. Böhme nimmt am Ende der zitierten Passage eine gedankliche Rafinesse auf: Wenn der „Grimm“ die Ursache ist, dass Gottes „Barmherzigkeit“ erkannt wird, so dienen die Verdammten als Kontrast der Gnadenerwählten. Sie wären eben nicht Érwählte, wenn es keine Verdammten gäbe. Es hätte auch keinerlei Sinn, wenn die Erwählten sich um die Verdammten bemühen würden, denn ihr Schicksal ist ja festgeschrieben. Hier schimmert ein reformatorisches Elitedenken durch, das Böhme durchschaut.
„Und sollen alhier unsere Augen des Verstandes weit auftun, auf daß wir wissen, zwischen GOtt und der Natur zu unterscheiden und nicht nur sagen: GOtt will, GOtt schuf. Es ist nicht genug, daß man mit dem H. Geiste gaukele, und heißet ihn einen Teufel, wie die gefangene Vernunft tut, welche saget: Gott will das Böse. Denn aller böse Wille ist ein Teufel als ein selbst-gefaster Wille zur Eigenheit, ein abtrünniger vom ganzen Wesen, und eine Phantasey.“ (2;12)
In Böhmes gesamtem Werk, in diesem von der Gnadenwahl jedoch besonders, unterscheidet Böhme „Vernunft“ und „Verstand“. Worin liegt der Unterschied?
„Wo ist nun der Göttliche ewige Vorsatz, davon die Vernunft saget? Sie will denselben mit der H. Schrift beweisen, und verstehet dieselbe nicht: denn der Schrift Worte sind wahr. Aber es gehöret ein Verstand darzu, nicht ein auswendiger Wahn, da man von einem fremden Gotte tichtet, der etwan weit und hoch in einem Himmel alleine wohnet.“ (7;24)
Die Vernunft, bei Böhme, „klügelt“, erhebt sich über andere, stellt sich selber in den Mittelpunkt der Erkenntnis, treibt das Denken in Widersprüche, die es selber nicht mehr lösen kann, löst sich daher von den Dingen und kreist beliebig um sich selber, erzeugt Theorien, die mit dem Leben nicht mehr deckungsgleich ist und etwas beliebiges bekommt („Phantasey“).
Der Verstand „versteht“ die Dinge. Mit dem Verstand nehmen wir die Dinge wahr, nehmen sie auf und wenden die Kenntnisse, die wir gewinnen, an. Assoziativ lässt sich „Verstand“ als praktische Vernunft auffassen, als Vermögen und Werkzeug des Geistes, nicht als dessen hybrider Anspruch auf selbsterzeugte Wahrheit. Vernunft hat bei Böhme die Tendenz zu innerweltlichem Egoismus und ist in vielen seiner Werke mit dem Teufel konnotiert, Verstand geht auf – sagen wir vorsichtig: praktische Anwendung des Glaubens.
Die Kritik der Vernunft hat bei Böhme eine sozialkritische Komponente. Ich gebe ein ausführliches Beispiel:
„So mercket nun (…) Das Weib ist der Acker und der Mann ist das Korn zum menschlichen Baume, das gesäet wird: So spricht die Vernunft: GOtt füget sie zusammen, wie er sie haben will? — Antw. Ja recht, aber durch seinen Vorsatz, welchen Er im Wort durch das grosse Uhrwerck der Natur in ein Regiment gefasset hat. Die Constellationes im Uhrwerck ziehen sie zusammen, aber die meisten werden durch Eigenem Willen zusammengezogen, da sich der menschliche Wille, welcher aus dem ewigen Grunde ist, selber constelliret, da dann die äussere Constellation gebrochen wird.
Das sehen wir an deme, wie sich die Reichen mit den Reichen constelliren, item die Adelichen mit den Adelichen; sonst, so dem Spiritui Mundi seine Constellation nicht gehorchen würde, so würde manche arme Dienst-Magd einem Edelmanne zugefüget, welche äusserlich im Spiritu Mundi (Weltgeist – TI) miteinander constelliren. Aber dieselb-gemachte menschliche seelische Constellation, aus dem hohen Grunde, ist mächtiger als die Constellation im Spiritu Mundi : darum gehet es oft und meistenteils nach der Seelen Constellation, welche die äussere Welt in der Macht und Hoheit übertrifft, gleichwie es am Sämanne lieget, wo er sein Korn hinsäet, ob es gleich ein anderer Acker besser fähig wäre.
(…) Alda wird eine Liebe nach der wahren Gleichheit seiner Eigenschaft in ihm erweckt: und so alsdenn der Mensch derselben folget und siehet nicht an Reichtum, Adel oder Schönheit und Wolgeschicklichkeit; so krieget seine eigene Constellation, die er von Natur hat, die rechte wahre Gleichheit, und ist ein Acker, der dem Korne gleich und angenehm ist. (…)
Aber wie es in der Welt gehet, das siehet man dann, was die Natur zusammenführet und bindet, da oft zwey junge Leute in höchster Liebe sich constelliren, (…) das brechen die Eltern und Freunde wegen Armuth und Hoheit halber; So spricht denn GOtt zu Noah: Die Menschen wollen sich meinen Geist nicht ziehen lassen und nehmen zur Ehe und beschlafen die Töchter der Menschen, nach dem, wie sie schöne sein, Gen. 6:2.3, reich und edel, welches alles doch Menschen Gedichte ist: daher kommen dann aus ihnen Mächtige und Tyrannen, welchen GOtt die Sündfluth seines Zornes in ihre gemachte Constellation entgegen setzet, und ihren eigenen Willen verstockt; denn manche Leute wegen Hoheit oder Reichtum zusammen gezwungen und gekuppelt werden, die hernach einander feind werden, und ihr Leblang im Gemüthe den Tod und die Trennung wünschen.“ (8; 48-51)
Vernunft interpretiert die menschliche Ordnung als eine natürliche Ordnung, indem der Mensch diese jener unterordnet und in Zwangsmechanismen (Prädestination) zusammenfügt. Auf die Befreiung davon zielt Böhmes Gleichnis der naturhaft-seelischen Antriebe beim sexuellen Begehren, das hier – sehr vorsichtig und in naturmystischer Distanz – vernunftbegründete Ordungen hinterfragt.
Wie lautet nun, vor diesem Hintergrund, Böhmes Alternative zur calvinistischen „Gnadenwahl“? Die Debatte über sie scheint bei Böhme ein Diskurs über Vernunft und Natur zu sein.
Kapitel 3 beschreibt das Verhältnis des Göttlichen zur Natur und den Menschen. Mustergültig für sein Gesamtwerk entfaltet er seine „Qualitätenlehre" (siehe dort), jenes Herzstück des Böhme’schen Gesamtsystems, das wir auf dieser Homepage eigens darstellen. Hier nennt er den Ablauf der Schöpfung in sieben Schritten „Species Naturae“, also etwa „Arten oder Merkmale der Natur“.
Am Ende des Schöpfungsprozesses, so diese Qualitätenlehre, „spricht“ die göttliche sechste Species die Natur aus (gemäß 1 Mose 1 und Johannes 1). Den Satz „Gott sprach: Es werde Licht“ versteht Böhme also nicht als Befehl oder Verfügung, sondern das Sprechen selbst ist bereits der Schöpfungsvorgang.
„(…) diese siebente aber ist eine Infassung aller Eigenschaften, und heisset billig die gantze Natur, oder das geformte Wort, das ausgesprochene Wort (…).“ (3;37)
Dieses gleichsam von Gott geschriebene Buch der Natur kann Böhme lesen – das ist die Signaturenlehre (siehe unsere Ausführungen zu Böhmes Werk De Signatura Rerum). Und weil er es kann, deswegen versteht Jacob Böhme sich als ein Erleuchteter. Es ist daher ganz folgerichtig, wenn er hierauf, mit Anfang von Kapitel 3, diese seine Schreibbefugnis unterstreicht:
„Günstiger Leser, ich vermahne dich, sey ein Mensch, und nicht ein unvernünftig Thier, und laß dich der Sophisten Geschwätz nicht irren mit ihrem Kälber-Verstande, die da nicht wissen, was sie schwätzen, welche nur zancken und beissen, wissen und verstehen aber nicht, was sie geilen, und haben keinen Grund im Sensu.
Laß dich auch nicht irren diese Feder, oder Hand der Feder: Der Höchste hat sie also geschnitzet, und seinen Odem darein geblasen, deshalben wir ein solches wohl wissen, sehen und erkennen und nicht aus Wahn von anderer Hand, oder durch Astralische Einfälle, als wir beschuldiget werden. Uns ist eine Pforte in Ternario S. (Heilige Trinität – TI) aufgethan zu sehen und zu wissen, was der HErr zu dieser Zeit in den Menschen wissen will, auf daß der Streit ein Ende nehme, daß man nicht mehr um GOtt zancke. Darum so offenbaret er sich selber, und das soll kein Wunder seyn, sondern wir sollen selber dasselbe Wunder seyn, das er mit Erfüllung der Zeit geboren hat, so wir uns erkennen, was wir sind, und vom Streite ausgehen in die Temperatur des einigen Willen, und uns untereinander lieben.“ (4;1 – 2)
Dies scheint für Böhme ein fundamentaler Unterschied zur Prädestination zu sein, dass er seine Erwählung durchsetzen muss, dass er etwas tun muss, dass er eine Rückendeckung bekommt, wenn er gegen die Akademien schreibt.
„Eure Schulen-Kunst, da ihr einander mit Worten der Vernunft schlaget und überwindet, und hernach solche Vernunft-Überwindung für Christi Wahrheit schreibet und lehret, das gilt euch nichts vor Gott (…).“ (12;64)
Wir machen eine aufschlussreiche Beobachtung: dort, wo er seine Schöpfungslehre in sieben Stufen darlegt, oder sich gegen die „Sophisten“ und „Schulen“ wendet, sowie am Ende des Kapitels 10 über „Einwürfe, welche die Vernunft gefangen halten“, spricht er über - sich selbst, als Schreiber und als Erleuchteter. Das Konzept der prädestinativen Erwählung aus unbekannter Gnade steht im Konkurrenzverhältnis zu seinem der Erleuchtung als weiser Laie Christi. Seine Kritik der Gnadenwahl legitimiert ihn als Schreiber, und das bereits macht dieses Werk Böhmes auch poetologisch wichtig.
Anmerkungen:
(1) vgl. Werner Buddecke (Hg.): Die Urschriften, Zweiter Band, S. 409, sowie Sendbriefe 23;3
(2) Franz Xaver von Baader: Vorlesungen und Erläuterungen zu Jacob Böhmes Lehre, in: Sämtliche Werke Band 13, Leipzig 1855, S. 59
(3) Vgl. dazu: Max Weber: Die protestantische Ethik, Band 1, Gütersloh 1991, zuerst 1920. Moderne Stellungnahmen der Freikirchen zum Thema „Prädestination“ nehmen diesem Glauben inzwischen die Schärfe. Vgl. z.B. den Theologischen Ausschuss des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden, Erzhausen 2009, unter http://www.bfp.de/media/PDF/Prae_ThA.pdf, letzter Zugriff 15.2.2015
Umfang: 224 Seiten, Sämtl. Schriften Band 6
Überliefert in Böhmes eigener Handschrift (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Zur Zeit beste Ausgabe: Jacob Böhme: Die Urschriften. Herausgegeben von Werner Buddecke. Zweiter Band. Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag, 1966.