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Nachruf Thomas Isermann

Thomas Isermann

*24.9.1957  +29.12.2025

Als er mich wieder einmal besuchte in den letzten Jahren, machten wir nach unserem Treffen einen Spaziergang über den nahen Dreifaltigkeitsfriedhof an der Berliner Bergmannstraße im Bezirk Kreuzberg. Da entdeckten wir das Grab von Gert Mattenklott, dem bekannten Literaturwissenschaftler, der von 1972 bis 1994 in Marburg lehrte. Thomas hatte bei ihm studiert. Er war überrascht, fast bestürzt, als wir vor dem Stein standen. Er wusste nicht, dass Mattenklott hier begraben ist. Dieser Professor war sein Inspirator, die linke Universität seine geistige Heimat und ist es bis zu seinem Ende eigentlich geblieben.

Thomas hatte in der zweiten Hälfte seines Lebens als Manager den Kontakt zu seiner Alma Mater praktisch aufgegeben. So stand er nun auf dem Friedhof und wichtige Jahre seines Lebens standen in einem Augenblick wieder vor seinem inneren Auge. Ich sah, wie er verwundert da stand, voller Dankbarkeit über die Zeit, die er in 80er-Jahren an der Universität verbrachte.

In Marburg hat Thomas bei Gert Mattenklott promoviert über die Religionssuche bei Alfred Döblin, hatte aber vorher über Jacob Böhme seine Magisterarbeit verfasst. „Ich habe gesehen, dass damals 1984 die Forschungslage zu Böhme lausig war und begann mich damit zu berschäftigen – und war verwirrt, weil ich nicht viel verstand. Das machte mich neugierig. So begann meine Verbindung zu ihm.“

Thomas hatte eine Neigung zu skurrilen Texten der Romantik. Josef Görres gehörte dazu, Clemens Brentano oder August Klingemann, besser bekannt unter dem Namen Bonaventura, dessen „Nachtwachen“ einer der düstersten Texte seiner Zeit ist und den ich nur vom namedropping kannte. Unglaubliche Texte buddelte er aus auf der Schneide zwischen satirischem Überschwang und Melancholie, ein Thema, dem er immer wieder nachspürte. Der linke Rebellengeist, den der Bremer in Marburg mitgetragen hatte, blieb in ihm lebendig, verlagerte sich aber auf ästhetische Regionen. Der unangepasste Dichter, der die Gesellschaft verachtet, dafür Opfer bringt und verfehmt wird, hatte seine Sympathie. Realpolitik stieß ihn immer mehr ab. Seine Erfahrungen im Kapitalismus lehrten ihn andere Empfehlungen als eine Umverteilung, die ohne Leistung auskommen will.

Was ihm in der akademischen Welt gelang, ein respektierter Autor zu sein, - sein Übersichtswerk zu den Schriften Jacob Böhmes - „Oh Sicherheit, der Teufel wartet deiner!“ - ist mittlerweile ein Standardwerk – das fiel ihm in der anderen Hemisphäre seines Wesens als Dichter schwerer.

Das freie Schreiben war ihm im Laufe der letzten Jahre wichtiger geworden als seine Tätigkeit als literarischer Vermittler. Dafür mobilisierte er seine ganze Intelligenz und Phantasie. Auf seiner Internetseite stehen Texte, die den Zwiespalt bekennen: https://web.archive.org/web/20220719175737/https://thomasisermann.de/

Für eine Sammlung von Sonetten „Mondrosen“ bekam er 2010 einen Literaturpreis im Saarland. Bis zuletzt entwickelte er lyrische Plots mit durchaus gelehrtem Hintergrund, wobei er nicht vor Anspruch und Vergleichen zurückwich. Der Mythos des Minotaurus beschäftigte ihn einige Jahre. Er nannte seine Version „Dädalus“.

Isermanns Stil ist der Lyrik verbunden, liebt den Rhythmus, den poetischen Auftrieb der Wörter, um sie wieder aus der Höhe hinunterfallen zu lassen und aus den Bruchsstücken neu zusammen zu setzen. Wir hatten die Idee, einmal eine Lesung mit einem richtigen Schauspieler zu veranstalten - dazu ist es leider nie gekommen.

Wenn er von seinen Schreib-Ekstasen erzählte, war er selig, weil er sich angeschlossen wusste an eine andere Welt, die er mit den Dichtern, die er liebte, gemein hatte. Das war sein erfahrener Glaube – als Dichter. So las er auch Böhme. Für ihn war der Görlitzer weniger ein Theosoph, der gerühmte philosopus teutonicus, sondern der begeisterte Autor, der im Schreiben und durch das Schreiben eine Verbindung herstellte, die nur das Aufschreiben möglich war. Das Aufschreibmedium ist der Dichter, davon war er überzeugt. Er hielt damit das Fenster offen für Motive, die sich mit Philologie und philsosophischer Terminologie nicht ganz erschließen lassen. Der poetische Rest, der sich sperrig zur Analyse verhält und doch wirkt.

Besonders war dies zu bemerken, wenn er vor die Diskussion über ein Thema eine gemeinsame Lektüre von Böhme-Texten stellte, die er zusammengestellt hatte. Das führte regelmäßig zu einer Grundierung des Gesprächs, die auch Leute mit einbezog, die etwa das umfangreiche Mysterium Magnum nicht gelesen hatten, aber neugierig waren und das Böhme-Massiv ein wenig näher betrachten wollten. Gelehrte Gäste beugten sich den Laienfragen, die ohne Scheu auf die Rätsel Böhmes losgingen – der beliebte Ungrund, der Urgrund, vor dem doch noch etwas sein musste usw. Und die Studierten trugen angesichts der naiven Erkundigung mit ihren Kentnissen etwas zur Aktualisierung böhmischen Denkens bei. Seine Erfahrung als langjähriger Seminarleiter kam da zum Tragen. Als guter Mäeutiker, als männliche Hebamme, lotste er zu den dunkleren Gefilden Böhmes, klärte auf und schuf im Johannes-Wüsten-Saal eine Atmosphäre, die einnehmend war und inspirierte. Was will man mehr von einem gemeinsamen Gespräch! Damit hat er den Stil unserer Gesellschaft geprägt. Wir sollten weiter darauf achten.

Für unsere Gesellschaft ist sein Tod ein Schock, - eine Lähmung, die wir überwinden müssen. Er war der Motor so vieler Aktivitäten: die Zusammenkünfte der Mitglieder, die Kurse an der Görlitzer Volkshochschule von 2018 bis 2024, die Jahrestagungen der Gesellschaft im Barockhaus, die kürzliche Renovierung und die zuverlässige Betreuung der Internetseite, die Versendung der Newsletter, die Zusammenarbeit mit Autoren, die Themensuche und seine eigenen Vorträge. Sein Enthusiasmus im Gespräch und die liebenswerte, freundliche Zuwendung, die Menschen erfuhren, die etwas zu Jacob Böhme wissen wollten, bleibt unvergessen. Lieber Thomas, Du fehlst uns.

Reiner Schweinfurth

Foto folgt

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