von Klaus Weingarten
„Der Mensch ist inwendig unendlich“, sagte er oft und zitierte damit den Görlitzer Visionär Jacob Böhme. „Ich glaube, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens Erfahrungen mit dieser inwendigen Unendlichkeit macht. Es sind oft nur Augenblicke, in denen sich das Bewusstsein auf eine Art und Weise vertieft, dass einem das sogenannte Alltagsbewusstsein, mit dem man seine Tage bestreitet, plötzlich wie Tiefschlaf vorkommt.“
Es war im Jahr 2001, als ich dieses Zitat in einem Text von Ronald Steckel las, für mich der erste deutliche Hinweis auf Jacob Böhme. Gleichzeitig war es auch der Tag, an dem ich die Bekanntschaft mit diesem Autor und Medienkünstler machte, vorerst durch Briefkontakt und einen beigefügten Text mit dem Titel: „Auf der Suche nach dem verlorenen Bild“. Zehn Jahre nach dem Untergang der 1980 gegründeten Literaturzeitschrift „TransAtlantik“, die damals als einzige Zeitschrift in Deutschland noch geistige Spuren aufwies, wollten wir als unabhängige Studentengruppe der Hochschule für Bildende Künste die Zeitschrift für eine Ausgabe noch einmal aufleben lassen und hatten ehemalige Autoren gebeten, uns ohne Honorar mit einem Artikel zu unterstützen. Sein Text mit dem oben angesprochenen Zitat war ergreifend; zugleich wurde mir klar, dass wir nach Monaten harter Arbeit nun unser Ziel verwirklichen könnten. Vor Glück und Freude kamen mir die Tränen.
Am 26. Juni 2024 um 20:45 Uhr verstarb Ronald nach kurzer, schwerer Krankheit, begleitet von seiner Frau Heidrun inmitten seiner Familie, in seinem Berliner Atelier, der Schöpfungsstätte seiner großartigen künstlerischen Arbeiten.
Ronald und ich sind seit 2012 Teil der Jacob Böhme-Gesellschaft gewesen. So unglaublich Ronalds Verlust bzw. unserer wiegt, läßt sich mit Worten nicht beschreiben, so bin ich eigentlich doch froh, dass Ronald den Übergang ins Jenseits vollzogen hat, ihn in seiner letzten Erdenzeit im Schmerzraum wahrzunehmen, war belastend für mich. Unsere letzte gemeinsame Reise nach Görlitz war zur Eröffnung der Ausstellung des Jacob Böhme-Bundes in der Nikolaikirche am 17. März 2024, hier sah man Ronald erstmals körperlich deutlich geschwächt und dann ging alles recht schnell. Hier hatte er noch einmal seine letzten Kräfte konzentriert und alle Hindernisse auf dem Weg zur der Ausstellung aus dem Weg geräumt. Es war ihm von großer Bedeutung, dass in den beiden Gedenkjahren, in denen viel über Böhme gesprochen werden wird, auch Böhme selbst mit seinen eigenen Worten anwesend sein wird.
Zu der Ausstellungseröffnung am 3. Mai 2024 im Kaisertrutz konnte Ronald nicht mehr anwesend sein, diese Früchte unserer Arbeit hätte er gerne noch gesehen. In der Ausstellung „Die Suchenden – Die Kunst des Jakob-Böhme-Bundes” im Kaisertrutz ist bis zum 17. November seine letzte künstlerische Arbeit, die Einsprache von Texten aus dem metaphysischen Lehrwerk von Bô Yin Râ, der 1920 diese Künstlervereinigung in Görlitz gründete, zu hören. Ebenso ist bis zum gleichen Zeitpunkt die Audioinstallation „Höre du blinder Mensch” mit der Stimme von Max Hopp zu Jacob Böhme in der Nikolaikirche und im Schlesischen Museum in Görlitz zu hören, bei der er Regie führte.
Ronald muss man einfach gekannt haben. Jeder, der ihn kannte oder zumindest persönlich ein Gespräch mit ihm erlebt hat, weiss wovon ich spreche. Es ist von Vornherein unmöglich einer solchen Begegnung mit Umschreibungen und Anekdoten nahe kommen zu wollen. Die große Auswahl von Zeugnissen seines Wirkens auf YouTube kommen einer Ahnung von dem wohl noch am nächsten. Eine Begegnung der ganz besonderen Art könnten die sechs Hörbücher sein, die er aus dem „Umschlossenen Garten” (Hortus conclusus) von Bô Yin Râ so eindrucksvoll selbst eingesprochen und der Nachwelt als letztes künstlerisches Zeugnis hinterlassen hat.
Ronald war einfach im positiven Sinne verhaltensauffällig. Für mich hat Ronald das Geistige so authentisch und lebendig verkörpert wie kein anderer und ich bin sehr froh und zutiefst dankbar, so viel gesegnete Zeit mit ihm verbracht haben zu dürfen. Er beschrieb oft, dass er sich bereits in der Zeit seiner Kindheit, die er auf Sylt verbrachte, wie ein Außerirdischer vorkam und spielte damit wohl auf die Doppelnatur des Menschen an, in der materiellen Welt in einem Säugetierkörper eingewohnt und zugleich kosmisches Wesen tiefster geistiger Natur. Als ich meiner Nichte, die kein Blatt vor den Mund nimmt, einmal ein Bild von ihm zeigte, äußerte sie spontan: „Das ist ja ein Außerirdischer!” Vielleicht machte ihn dieser Eindruck für viele unnahbar und es kam nicht selten vor, dass an unserer Arbeit Interessierte mich ansprachen, um eigentlich mit ihm in Kontakt zu gelangen.
Erstmals getroffen hatte ich ihn 2001, als es uns gelang, ihn für einen Vortrag zu Bewusstsein und Film an der Kunsthochschule in Braunschweig zu gewinnen. Als ich ihn damals am Bahnhof vom Zug abholte, lag mir weder ein Bild noch eine Beschreibung von ihm vor, aber wir standen uns direkt nach der Ankunft des Zuges gegenüber, als hätten wir endlich zusammengefunden und das blieben wir fortan.
Nun folgten erste Besuche bei ihm in Berlin und ich musste mich an die hohen Schwingungsebenen seines Energiefeldes gewöhnen. Wenn ich von einem Besuch bei ihm zurückkehrte, war ich am Berliner Bahnhof selbst auf einer so hohen Schwingungsebene aufgeladen, dass ich jedes einzelne Individuum dort fühlbar wahrnehmen konnte und aus weiter Entfernung schon erahnen konnte, dass beispielsweise die schlafende Person in meinem entfernten Sichtfeld gleich von seinem Sitz fallen würde und ihn in diesem Zustand schon vorausahnend auffangen konnte.
Es hatte etwas von Ganapati Muni, der den indischen Weisen Ramana Maharshi in dessen Meditationshöhle besuchte und dieser ihn, ohne dass sie sich zuvor begegnet wären, nach 16-jähriger Schweigezeit als seinen Schüler freudig begrüßte. Später stellte sich heraus, dass Ronald sich nach seinem Buch „Herz der Wirklichkeit” 1973 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und erst wieder seit unserer Veranstaltung sein in diesem Fall 28-jähriges Schweigen gebrochen hatte und wieder sichtbar wurde (abgesehen natürlich von seinen zahllosen künstlerischen Arbeiten, die er immer still realisierte). Ronald war bei unserem ersten Zusammentreffen vor 23 Jahren genau in dem Alter, in dem ich heute bin. 1969, bereits im Alter von 23 Jahren war er mit seiner Veröffentlichung „Bewusstseinserweiternde Drogen – eine Aufforderung zur Diskussion“ zum jungen Besteller-Autor und gleichzeitig zum „enfant terrible“ geworden. Es kam bei unseren zahllosen Präsentationen des Böhme-Filmes „Morgenröte im Aufgang“ nicht selten vor, dass er auf dieses Buch in vorwurfsvollen Ton angesprochen wurde. Dieses Buch gilt als das „erste originäre deutsche Drogenbuch der psychedelisierten Neuzeit“. Seine Zeit von 1966 bis 1968 in London ließ für ihn erahnen, was auf Deutschland zukommen würde und so versuchte er mit diesem Buch eine gesellschaftliche Diskussion anzuregen, die leider ausgeblieben ist, sondern das Thema der Psychedelika von den Medien repressiv, verzerrend und abwertend behandelt wurde.
Die Erfahrungen dieser Zeit führten ihn auch zu Jacob Böhme. Im ersten Teil „Von der Menschwerdung” fand er seinen ersten direkten Zugang. Der Mensch in Gestalt von Adam „verlo(h)r die himmlische(n) Augen”. Hatte der Mensch einmal himmlische Augen gehabt? Dieser Hinweis machte ihn hellhörig und öffnete ihn dauerhaft für Böhme. Das war Ende der 60er Jahre.
„Steckels mediale Arbeiten umfassen eine extreme inhaltliche Polarität: viele seiner Audioproduktionen und Theaterarbeiten beziehen sich auf die jüngere deutsche Geschichte, des Holocausts und die Realität des geteilten Deutschland. 1993 brachte Steckel mit Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch”, Berlin, an der er von 1993 bis 2003 als Gastdozent für Schauspiel tätig war, unter dem Titel Epitaph Texte des österreichischen Dichters Heimrad Bäcker im Berliner Hebbel-Theater auf die Bühne. Am 10. Mai 1998 inszenierte er auf dem Berliner Bebelplatz eine öffentliche Lesung aus Texten der am 10. Mai 1933„verbrannten Dichter“, die vom SFB als Live-Hörspiel gesendet wurde.
2005 veröffentlichte er zum 60. Jahrestag der Befreiung des Lagers Ausschwitz das Hörstück Auschwitz. Stimmen, eine dreistündige Montage aus den Originalaufnahmen des 1. Frankfurter Ausschwitz-Prozess (1961– 1963). Im Januar 2007 installierte er Auschwitz. Stimmen als Klanginstallation am Holocaust-Mahnmal in Berlin.
Auf der anderen Seite realisierte er für die ARD zahlreiche Hörstücke mit Texten aus der Philosophie perennis, unter anderem von Laozi, Zhunangzi, Plotin, Huang Bo, Johannes Tauler, Meister Eckhart, Rumi, Jacob Böhme, Novalis, Kazimir Malevič, Simone Weil und Ramana Maharshi.
Ein zentrales Kapitel in Steckels Medienarbeiten bezieht sich auf den Görlitzer Mystiker und Visionär Jacob Böhme. 1993 veröffentlichte er zwei Radioproduktionen mit Texten Böhmes, von denen Aurora oder Morgenröte im Aufgang – hommage à Jacob Böhme zwischen 1994 und 2000 in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Görlitz als Klanginstallation in der Görlitzer Pfarrkirche St. Peter und Paul zu hören war.” (Wikipedia)
Ronald erzählte uns, dass das Hörstück für das Jahr 1994 geplant war und als er 1997 erneut zu Besuch in der Kirche war, es dort immer noch lief, nur mittlerweile in Vergessenheit geraten war, dass er der Autor der Arbeit war und man glaubte, diese Audioarbeit sei von der Kirche in Auftrag gegeben und eigenes Besitztum. Ronald gefiel das und es war ihm eine Genugtuung und Freude, Böhme dort zur Sprache kommen zu lassen, wo ihn einst der orthodoxe Lutheraner Gregor Richter öffentlich verspottet hatte.
Ronald hätte sich Ende der 90er Jahre gut vorstellen können, als Theaterregisseur dauerhaft am Hebbel-Theater zu arbeiten. Mit den Studenten der Schauspielschule hatte sich ein festes Ensemble gebildet. Das geistige Musiktheaterstück Schweigende Landschaft – Ein Ritus im Hebbel-Theater Berlin in der Spielzeit 1996/97 wurde zwar frenetisch in der Presse gefeiert, geriet intern jedoch zum Skandal und noch am Tag der gefeierten Uraufführung des Stückes erhielt er von der Leitung seine Kündigung. Wer am Schlaf der Welt rührt, das ist und war so, hat es schwer und so musste Ronald sich immer wieder neu erfinden.
Das nootheater wurde im Herbst 2005 in Berlin von Max Hopp, Ronald Steckel und Martin Engler als Kooperative unabhängiger Künstler für Film-, Theater- & Performance-Projekte gegründet.
„Die Gründung des nootheaters manifestiert die Absicht, in künstlerischer wie in finanzieller Hinsicht unabhängig von den gegenwärtigen Bedingungen des kulturellen Marktes zu arbeiten.
Die Produktionen des nootheaters konzentrieren sich auf die gegenwärtige Mutation des menschlichen Bewusstseins.”
Am 11. August 2007 widmete Ronald Steckel Jacob Böhme in unserem Filmverein Sector 16 einen ganzen Abend und versuchte uns den Görlitzer Visionär nahezubringen. Am 19. und 20. November 2008 war er bei unserem Symposium für GEISTbewegenden Film in Hannover zu Gast, das im Jahr 2010 zur Gründung unserer „Organisation zur Umwandlung des Kinos” führte, die nach dem Zeitungstext „Kino, Kultur und Kunst“ von Joseph Anton Schneiderfranken benannt wurde, der erstmals 1920 in den Görlitzer Nachrichten abgedruckt wurde.
„Wenn schon die Jugend, hier und an andern Orten, sich der Kinofrage annahm, so meine ich, wäre es gar nicht so übel, wenn auch von der Jugend die Bildung einer machtvollen deutschen Organisation zur Umwandlung des Kinos ausginge. –“
Im gleichen Jahr, als Ronald als Anregung für eine gemeinsame Arbeit ein „Jacob-Böhme-Filmbuch“ vorlegte, war es dann so weit: wir begannen die künstlerische Zusammenarbeit mit dem Berliner nootheater, um einen Jacob-Böhme-Film zu drehen. Entscheidend für unseren Entschluss war ein Lehrtext zu Böhme von Joseph-Anton Schneiderfranken, der von 1917 bis 1923 in Görlitz lebte, der unter seinem geistigen Namen Bô Yin Râ in seinem Buch „Wegweiser” unter dem Titel „Wer war Jakob Böhme” veröffentlicht wurde.
Mit diesem Werk konnten wir das schaffen, was bis dahin über die Kräfte jedes Einzelnen von uns hinausgegangen war; jeder konnte an seinem Platz in der Welt fast Unglaubliches leisten, ohne sich in einem Kampf zusammenziehen zu müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Alles geschah „wie von selbst“ …
In den Jahren 2011 bis 2015 entstand in Zusammenarbeit des nootheaters und der Organisation zur Umwandlung des Kinos der Film Morgenröte im Aufgang – hommage à Jacob Böhme, der 2016 mit dem Deutschen FILMGEIST Preis 2016 und dem RosaMars Filmpreis 2016 ausgezeichnet wurde.
Als wir 2015 die Vorbereitungen für die Premiere unseres Filmes „Morgenröte im Aufgang” im Gerhart-Hauptmann-Theater planten, besuchten wir gemeinsam im Kaisertrutz eine erste Ausstellung, in der auch der Jakob-Böhme-Bund erwähnt wurde, den Bô Yin Râ mit Fritz Neumann-Hegenberg 1920 in Görlitz gegründet hatte.
Im Jahr 2018 hielt Ronald vor der Jacob Böhme Gesellschaft den Vortrag „Anmerkungen zu den Quellen Jacob Böhmes” und ich am gleichen Tag den ersten öffentlichen Vortrag über den Jakob-Böhme-Bund im Namen der Organisation zur Umwandlung des Kinos, der auf unseren ersten Recherchen beruhte und der das bisherige Bild dieser Görlitzer Künstlergruppe in erweiterter Form darstellen sollte.
Es ist schade, dass Ronald fortan in der Jacob Böhme Gesellschaft nicht zumindest jedes Jahr einen Vortrag dieser Art gehalten hat. Seinen letzten angekündigten Vortrag in diesem Jahr auf Gleis 1 bei ideenfluss zu Jacob Böhme konnte er aus gesundheitlichen Gründen schon nicht mehr wahrnehmen.
Er hat sich immer gewünscht, dass die Verbindungen zwischen den einzelnen Böhme-Initiativen in Görlitz enger geflochten werden und ich bin guter Hoffnung, dass sein Wunsch in diesen beiden Gedenkjahren durch den Austausch und viele gemeinsame Begegnungen in Erfüllung gehen wird.
Als Mitglied der Böhme-Gesellschaft möchte ich Birgit Beltle, die Ronald menschlich zutiefst schätzte und ihr unermüdliches Engagement und ihre enorme Kraft, sich für Böhme und die Stadt Görlitz einzusetzen, tief bewunderte, meinen herzlichsten Dank aussprechen. Ohne Ihren außergewöhnlichen Einsatz würden wir derzeit wohl andere Böhme-Gedenkjahre 2024/2025 erleben und ich freue mich über alles bisher Erlebte und dass der Beginn der Jahre dank Ihr und der Koordination des ideenflusses bisher so reibungslos und wunderbar verlaufen ist. Am 5. September 2024 wird die Vortragsreihe der Böhme-Gesellschaft „Böhme für Alle” starten.
Ronald hatte Herrn Dr. Regehly außerordentlich hoch geschätzt, ihm gefiel seine Art der Führung der Gesellschaft und er hat diese als wissenschaftliche Institution für sehr wichtig befunden. Die Herausgabe der neu überarbeiteten Gesamtausgabe Böhmes hat er sehr begrüßt und die Bescheidenheit von Herrn Isermann als Aktivposten der Gesellschaft außerordentlich geschätzt. Ronald hätte sich zweifellos gewünscht, dass dort auch über die Geisteswissenschaft (die zweifellos den Großteil des Interesses an sich bindet und als Basis unverzichtbar ist) hinaus weitere Wege eingeschlagen und dort das ganze Spektrum der Wahrnehmungsmöglichkeiten von Jacob Böhme beschritten und abgebildet worden wäre.
Sehr gefreut hat sich Ronald in den vergangenen Jahren über die Entwicklung und Pflege der Musik in der Böhme-Gesellschaft, die dadurch zweifellos große Verdienste auf diesem Gebiet erworben hat.
In Zusammenarbeit mit Manfred Stahnke, Frank Psyschholz, Maria Skiba und Musikern der Gruppe „Schoole of Night” wurden bislang grandiose Konzerte in Görlitz aufgeführt, die von fast musikhistorischer Annäherung an die Zeit Böhmes bis zum Ausdruck der Gegenwartsmusik reichen. Die Stimme von Maria empfand Ronald als einzigartig und sah die schöpferische Progressivität, mit der Frank sich künstlerisch musikalischen Herausforderungen widmet, als sehr kostbar an. Das elektrisierte ihn und er wurde regelmässiger Zuschauer dieser wunderbaren musikalischen Veranstaltungen, die er von Berlin aus besuchte und von denen er stets begeistert berichtete. Es ist Herrn Dr. Regehly hoch anzurechnen, dass er unter hohem persönlichem Einsatz den Rahmen und den Freiraum für diese positive Entwicklung im Namen der Gesellschaft eröffnet hat und ich bin mir absolut sicher, dass wir noch große Freude mit den künftigen Ergebnissen, die bei weiterer Förderung und der Leidenschaft dieser Musiker nicht ausbleiben wird, gemeinsam erleben können werden.
Und an diesem Punkt kommen wir zum letzten Kapitel, dem Jakob-Böhme-Bund und dem metaphysischen Lehrwerk von Bô Yin Râ, dass 1919 von Görlitz aus seine Verbreitung in die Welt fand. In seinem Buch Wegweiser aus dem Jahr 1925 betont Bô Yin Râ in seinem Text „Wer war Jakob Böhme?” die einzigartige Sonderstellung Böhmes im Vergleich zu anderen Autoren der christlichen Mystik wie Meister Eckhart, Johannes Tauler, Thomas à Kempis, des namentlich unbekannten Verfasssers der Theologia Deutsch, Heinrich Seuse oder später Angelus Silesius.
Ronald würde sagen: Die Schriften Böhmes und Bô Yin Râs künden von der gleichen geistigen Wirklichkeit und beide Verfasser schöpfen aus derselben ursprünglichen Quelle. Ihre Botschaften im Mantel der historischen Gestalten künden aus einer fernen Zukunft. Es bestand in der Vorbereitung zu den Böhme-Gedenkjahren der verbreite Wunsch, Böhme in einer vereinfachten Form einem breiten Kreis zugänglich machen zu wollen. Wir würden raten, dass Lehrwerk Bô Yin Râs den Schriften Böhmes ergänzend zur Seite zu stellen. Und bei den beiden größten Schöpfer unserer geistigen Überlieferung mit dem arbeiten, was eine innere Resonanz in sich erzeugt. Und die Zuversicht haben, dass das, was zu Beginn noch rätselhaft erscheinen mag, sich später entschlüsseln wird. Die Schlüssel sind keine intellektuelle Bildung oder eine wissenschaftliche Herangehensweise, sondern eine ausgeprägte Empfindungsfähigkeit und eine gute Herzensbildung. Böhme bezeichnete diesen Weg als einen Kinderweg und Bô Yin Râ ergänzte, dass auf diesem keine „kindische”, sondern eine „kindliche” Weltanschauung gefragt ist.
Die Vorarbeit der Geisteswissenschaft über mehrere Jahrhunderte zu Jacob Böhme war für unseren Böhme-Film und die Auswahl von dessen Zitaten sehr hilfreich und von immenser Bedeutung. Bei der Vorbereitung und zur Grundlage unseres künftigen Films zur Künstlervereinigung „Jakob-Böhme-Bund” mussten wir uns dieses Fundament hingegen erst in langjähriger Recherche, die wir ohne die Hilfe der Görlitzer Sammlungen nicht hätten leisten können, selbst erarbeiten.
Was ist das Geheimnis dieser Görlitzer Künstlervereinigung und wie gelang es ihr, Görlitz einmalig in seiner Kulturgeschichte zu einer bewunderten Kunstmetropole und einer Stadt mit einem hohen geistigen Klima zu machen, von denen viele Zeugnisse künden? Der Görlitzer Schriftsteller Arno Schmidt berichtete aus seiner Jugendzeit von dieser pulsierenden Atmosphäre, in der alles möglich erschien.
1920 schrieb Bô Yin Râ im Görlitzer Anzeiger: „Man glaubt mit dem Erkämpfen politischer und sozialer Forderungen, mit Höchstleistungen auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik, mit einer „Kunstpflege”, die sich im Wesentlichen nur der Literatur, der Musik und dem Theater widmet, die ersehnte Kultur erreichen zu können und sieht nicht, daß alle diese Bestrebungen, so richtig und wichtig sie auch an sich sind, keine dauernden Wirkungen auf das Leben zeitigen können, solange die Beziehungen zu bildender Kunst nicht mit gleicher Hingabe und Energie gepflegt werden.“
Ich glaube, dass es ein Ziel der Arbeit des Jakob-Böhme-Bundes war, diesen entscheidenden Faktor der Bildenden Kunst, der bis zu diesem Zeitpunkt der Stadt Görlitz eher fremd war, mittels einer neuen Sakralkunst hinzufügen und tief zu verwurzeln versuchte. Der positive Effekt, der aus dieser aus der Sicht des Jakob-Böhme-Bundes notwendigen Ergänzung damals erwuchs, drückte sich schon nach kurzer Zeit in diesem einzigartigen geistigen Klima der Stadt Görlitz aus, der die Gedenkjahre vor hundert Jahren einleitete und beflügelte. Und da die Arbeit des Jakob-Böhme-Bundes zeitlos ist, könnte diese, dank der historischen Dokumente, die heute vorliegen, nahtlos fortgeführt werden.
Als ich Ronald auf einer der zahllosen und immer wunderbaren Reisen im Oktober 2019 nach Görlitz Ronald im Auto fragte, ob wir den Jacob Böhme-Bund wiederbegründen wollten und wir bis Februar 2020 Zeit hätten, die Vorkehrungen dafür zu treffen, war er Feuer und Flamme und stimmte direkt zu. Es folgte nun die redaktionelle Arbeit unserer Wiederauflage der Monatsschrift Magische Blätter, in denen er eine hohe Anzahl seiner Texte zum Geistigen veröffentlichte, die jetzt zum schriftlichen Ausschnitt seines Nachlasses werden.
Ich vermute, dass es schon vor hundert Jahren recht ähnlich abgelaufen sein könnte und von Fritz Neumann-Hegenberg der Impuls für die Gründung ausging, dem Bô Yin Râ dann seine Zustimmung gab. Durch den Tod von Ronald haben wir sehr eindrücklich erfahren müssen, wie schwer der Verlust von Fritz Neumann-Hegenberg in Görlitz hundert Jahre zuvor gewogen haben muss.
Die filmische Rekonstruktion seiner Beerdigung wurde für uns auch zur symbolischen Beerdigung von Ronald. Schon vor mehreren Jahren, als wir die Planung der Dreharbeiten besprachen, sagte er auf die Frage, welche Rolle er dabei einnehmen würde: „Ich lege mich als Fritz-Neumann Hegenberg in den Sarg!”
Ronald schätzte den Wert des Lachens und wir waren oft in ausgelassener Stimmung und mit einem Bart hätte er Gustav Meyrink in dem Film verkörpern sollen.
In diesem Jahr ist mit ihm ein zeitgenössischer Mystiker von uns gegangen oder sollte man ihn besser als Entmystifizierer bezeichnen? Wer sich mit seiner Arbeit beschäftigt, wird tief beeindruckt sein, was dieser Mensch in seinem Leben künstlerisch geleistet hat und zugleich ist es schade zu bedenken, was er unter besseren finanziellen Bedingungen zusätzlich noch zu leisten imstande gewesen wäre. Er hat uns eine Agenda für die kommenden Jahrzehnte hinterlassen.
23. August 2024