Es war im 16. und 17. Jahrhundert nicht ungefährlich, sich über göttliche Dinge zu äußern. Giordano Bruno endete zu Böhmes Lebzeiten in Rom auf dem Scheiterhaufen, ebenso fast neunzig Jahre später der enthusiastische Böhmeschüler Quirinus Kuhlmann in Moskau. Galilei wurde 1616 vor die Inquisition zitiert und bedroht. Weniger spektakulär wurde mit denen umgegangen, die in der Provinz aus der kirchlichen Ordnung ausscherten. Zumal in protestantischer Provinz gab es Inquisition im alten Stil nicht. Aber im neuen Stil. Abweichler unter den reformierten Theologen verloren nicht nur ihre Gemeinden, sondern konnten durchaus jahrelang im Kerker sitzen.
Im protestantischen Görlitz wurde Jacob Böhme durch den Oberpfarrer Gregor Richter von der Kanzel herab vor der Gemeinde ausgegrenzt. Für Böhme selbst müssen die Anfeindungen anfangs ein Rätsel gewesen sein, wenn er schreibt: „Ich habe keine neue Lehre, sondern nur die alte, welche in der Bibel und im Reiche der Natur zu finden ist […].“ Sein Anspruch war nicht, der Sektenvielfalt seiner Zeit eine weitere Randgruppe beizufügen. Warum fühlten sich so viele Menschen durch Jacob Böhme so provoziert? Was hat so viele Bürger aufgebracht? Er, der gelehrten Disputation unkundig, ein Schuster, verkehrte vor den Augen der Mitbürger plötzlich mit Doktoren, mit Theologen, Astrologen. Er war Aufsteiger. „Und darum", so ein Interpret, "ist später der Hass und die Feindschaft so groß gewesen. Sie kannten ihn noch, als er klein war, – jetzt wollten sie von dem Großen nichts wissen.“
Er war zunächst Schuhmachermeister, dann Handelsreisender in Kurzwaren, um auf seinen Reisen in der Oberlausitz und in Niederschlesien Kontakt zu seinen Lesern zu halten. Das war kein gutes Geschäftsmodell, der Dreißigjährige Krieg erschwerte den Fernhandel, so dass wir uns Jacob Böhme zuletzt als kleinen Händler vorstellen können, der von Haus zu Haus zog, der aus Geldnot noble Gönner um Brot bat. Die Görlitzer mochten ihn. Sie mochten ihn so sehr, dass sie ihn aus der Kutsche zerrten und in eine Pfütze warfen. Der Oberpfarrer an der großen Peters-Kirche zu Görlitz lobte ihn für seine interessanten Schriften als „schmutzigen Schuhmacher“, und das erste Grabkreuz, wenige Stunden nach seiner Beerdigung, wurde von aufgebrachten Randalierern zerstört.
Dieser Görlitzer Chef-Protestant, Gregor Richter, der auf die Schriften schimpfte, die er nicht las, bewarf Böhme bei einer Vorladung mit einem Pantoffel, neidete ihm seinen Umgang mit dem Landadel. Jacob Böhme war ein Unikum am Dresdener Hof des Kurfürsten, wo er sich Rückendeckung gegen die zeternden Görlitzer Kleinbürger verschaffen wollte, er aber wurde bei Hof wie ein kurioser Alchimist herumgereicht, der leider kein Gold machen konnte, wie ein Biograph betont:
„In Görlitz hatte es einen Schuster, der große, seltsame Bücher schrieb. Ein Schuster, der schrieb, – das mußte man sehen. […] Man hatte sein Büchlein [Der Weg zu Christo] nicht geprüft; man hatte auch seine Lehre nicht auf die Richtigkeit geprüft; man hatte sich unterhalten lassen.“
Wo es sich nicht um enge Vertraute und Freunde handelte, wurde er von Görlitzer Zeitgenossen herumgeschubst. Während des Dresdener Aufenthalts wurden ihm daheim die Scheiben eingeschlagen; nach seinem Tod verweigerte Richters Nachfolger gar noch die Beerdigung auf dem Gottesacker und Böhme ahnte schon früh, in der „Aurora“, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt:
„Nicht schreibe ich mir solches zum Ruhm, denn mein Ruhm stehet in meiner Hoffnung des Zukünftigen: ich bin so wol ein armer Sünder wie alle Menschen, und gehöre auch vor diesen Spiegel [den er der Welt vorhält]; sondern ich verwundere mich, dass sich GOtt in so einem einfältigen Manne will also gantz und gar offenbaren, und treibet ihn noch darzu, solches aufzuschreiben; da doch viel bessere Scribenten wären, die es viel höher könten schreiben und ausführen als ich, der ich nur der Welt Spott und Narr bin.“
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Jacob Böhme hat zu diesen Vorgängen eine Schutzrede (Apologia) geschrieben. Vgl. dazu unsere Erläuterungen.
Diese beiden Abbildungen finden sich in der späteren Ausgabe der Sämtlichen Schriften Jacob Böhmes in zwei Bänden, erschienen in Hamburg 1715.
Wie ein Höllenwirbel wirkt das dreieckige Bild über der Stadt. Die dreieckige Grafik zeigt wie kaum eine andere, wie Jacob Böhme gedacht hat: Das Gute, das Böse und die Realität der Welt, in der sich beide, Licht und Finsternis, durchkreuzen und vermischen, ja verschlingen. Die drei Winkel dieses Dreiecks symbilisieren die drei Prinzpien, von denen Böhme so oft schreibt: das Böse, das Gute, und die Realität, in der wir leben.