Über die Werke

Von der wahren Gelassenheit

Von der wahren Gelassenheit

(1622)

Das Thema dieser kurzen Schrift, das seit der Antike bis heute, unabhängig von konfessioneller Bindung, stets aktuell geblieben ist, lautet: Wie findet der einzelne Mensch Ruhe und Gelassenheit, Zuversicht und Mäßigung.


Das deutsche Wort „gelassen“ oder „Gelassenheit“ ist zum ersten Mal in der Zeit der mittelhochdeutschen Mystik, bei Meister Eckhart, Johannes Tauler, Heinrich Seuse nachweisbar und wird dort unmittelbar vom Wortbild abgeleitet: Das Individuum ist aufgefordert, sich selbst zu „lassen“, von seinem Ich ab-zulassen, und sich auf seinen Gott ein-zulassen. Dadurch erreicht es einen Zustand der Ruhe, den Meister Eckhart ausdrücklich zustimmend bei Vertretern der antiken Stoa beschrieben findet, namentlich bei Seneca. Der Unterschied zwischen der stoischen Seelenruhe (tranquilitas animi) oder der Ausgeglichenheit (aequanimitas) und ihren christlichen Pendants liegt wohl darin, dass die antiken Philosophen eine strenge Mäßigung der Affekte in den Mittelpunkt stellen, und die christlichen Mystiker mehr das Aufgeben der Ichheit, der „Selbheit“, wie auch Böhme es nennt. Der Weg zur Gelassenheit unterscheidet sich sehr in den antiken und in den christlich-mystischen Kontexten.


 

„Selbheit“ versus Gelassenheit


Womöglich ohne diese historischen Zusammenhänge zu kennen, beschreibt Böhme die „Gelassenheit“ zunächst im Sinn der Eckhart’schen Tradition. Er scheint jedoch an einer ganz bestimmten Stelle in eine andere Richtung zu argumentieren. War bei Eckhart Natur und Gott auseinander gehalten, sieht Böhme, darin ein Kind der Renaissance, in allen seinen Werken Gott und Natur ineinander wirkend.

„Dann GOtt ist Alles, Er ist Finsterniß und Licht, Liebe und Zorn, Feuer und Licht; Aber er nennet sich alleine GOtt nach dem Lichte seiner Liebe.“ (2;9) Sich in Gott einzulassen, muss dann nicht etwa sogleich Ruhe und Ausgeglichenheit bedeuten. Die Abkehr, über diese Qualitäten Gottes und der Welt mithilfe der Vernunft zu urteilen, treibt in einen Zustand der anmaßenden Selbstheit, wie es bereits einleitend heißt:
 
„Weil aber die Selbheit, als die Vernunft, in einer schweren Gefängniß, als in GOttes Zorn, sowol auch in der Irdigkeit gefangen, und feste angebunden stehet, so ist es dem Menschen gar gefährlich, daß er das Licht der Erkenntniß in der Selbheit führet, als ein Eigenthum der Selbheit.“ (1;2)

Nicht die Unruhe, nicht das, was wir unter „Stress“ oder Nervosität verstehen, ist das Gegenteil der „wahren Gelassenheit“ Böhmes, sondern die „Selbheit“, eine Ich-Bezogenheit, die Böhme nicht als vorübergehende psychische Disposition versteht, sondern als dem Menschen mitgegebene Einkapselung, die jeder Mensch überwinden soll. So klingt es wenig gelassen, wenn er diesen Prozess beschreibt:


„Es muß gerungen seyn, bis das finstere, harte, verschlossene Centrum zerspringet, und der Funcke im Centro fähet (erfasst), daraus alsobald der Edle Lilien-Zweig (…) ausgrünet.(2;46)“


Die Lilie als Symbol der Unschuld steht in dieser Sprachbewegung am Ende einer expressiven Befreiung, die mit unserer Vorstellung von Gelassenheit kaum etwas zu tun zu haben scheint, mit dem Begriff der antiken „Seelenruhe“ noch weniger.


 

Albernheit


„Die Selbheit dienet nur dem zeitlichen Wesen: aber die Gelassenheit beherrschet alles was unter ihr ist. Die Selbheit muß thun, was der Teufel in Fleisches-Wollust und hoffärtigem Leben haben will: Aber die Gelassenheit tritt das mit Füßen des Gemüths. Die Selbheit verachtet was alber ist; aber die Gelassenheit leget sich zum Albern in Staub, sie spricht: Ich will alber seyn, und nichts verstehen, auf daß mein Verstand sich nicht erhebe und sündige…“ (2;50)


Mit dem Begriff der „Kindschaft“ (2;48) verbindet sich Böhmes Vorstellung von Gelassenheit, eine Unschuld also, die sich nicht für verantwortungslos erklärt, etwa für schuldunfähig, sondern für überwunden. Mit dieser Kindschaft ist das Wörtchen „alber“ assoziiert, das unserem „albern“ historisch zwar verwandt ist, aber zwischen Böhme und uns eine deutliche Wortverschiebung erfahren hat. Noch den Zwerg Alberich kennen wir als klein wie ein Kind.


Vielleicht lässt sich die Bedeutungsverschiebung von „alber“ als ein Merkmal des unschuldigen, schlichten Gemüts zur Bedeutung des drolligen, deutlich pejorativen Kontext von „albern“ mit der Dominanz der Aufklärung im 18. Jahrhundert erklären, in dem wir diese Verschiebung historisch beobachten. Philosophisch steht jedoch bereits bei Böhme die Kindschaft, das Alberne, im Spannungsverhältnis zur Vernunft, deren kritische Relation zum Albernen Böhme hier bereits diskutiert.


Konnte zu Böhmes Zeit eine bestimmte Vernunft als Ausdruck zweier Todsünden, der Hoffart (Eitelkeit) und der Luxuria, bezeichnet werden, obsiegt die strenge und erzieherische Disziplin der Rationalität in der Epoche der Aufklärung. Das sinnfreie „alber“ der Schlichten wird zum sinnlosen „albern“ unreifer Dummer oder Kinder, die man erziehen muss. Es nimmt kaum Wunder, dass die in Albernheit geübten Romantiker noch in ihrer Ironie einen Wert sehen, für den Böhme für sie stehen konnte, nicht indem er ironisch oder „albern“ wäre – nichts weniger als das! – aber gegen eine egoistische und herrschaftsfestigende Vernunft mit dem Wert alberner Kindschaft antwortet. Philipp Otto Runges Kinderfiguren noch gestikulieren in diesem Böhmischen „alber“.


 

Gelassenheit und die Kreatur als Werkzeug


„Wann der Geist GOttes gehet als ein Feuer der Liebes-Flamme, so gehet der Willen-Geist der Seelen unter sich, und sagt: HErr,  deinem Namen sey die Ehre, und nicht mir (…) thue was du willst, ich kann noch weiß nichts, ich will nirgends hingehen, du führest mich dann als deinen Werckzeug, thue du in und mit mir was du willst. (…) und so sich alsdann das Licht der Göttlichen Kraft darinnen entzündet, so muß die Kreatur alsdann, gleich als ein Werckzeug des Geistes GOttes, vor sich gehen, und reden, was der Geist GOttes saget, so ist sie alsdann nicht mehr ihr Eigenthum, sondern das Werckzeug Gottes.“ (1;29)
 
Hier haben wir eine Begründung, wann ein gewisser Eifer, für seine Sache zu streiten, mit dem Begriff der Gelassenheit harmonisieren kann: Der Dynamismus, der im Schöpfungsprozess und der Geschichte liegt, überträgt sich auf den Gelassenen. Böhmes Gelassenheit ist geradezu Voraussetzung für sein Erweckungs- und tatkräftiges Sendungsbewusstsein. Modern gesprochen bedeutet Gelassenheit bei Böhme weniger „Ruhe“ als ein „Aufgehen in einer Sache“. Dass hierin sowohl Aufforderung zum notwendigen Handeln liegen kann als auch die Gefahr, in diesem Handeln missbraucht werden zu können, wäre freilich zu bedenken, wenn das Agieren in Gelassenheit fremdbestimmt ist. Den Gelassenen Böhmes können wir uns auch als einen Eiferer vorstellen. So zumindest öffnet sich der Begriff der Gelassenheit bereits vor Jacob Böhme, wenn es knapp einhundert Jahre vor Böhme im Kontext der Bauernkriege hieß:


„Derhalben muß der allergelassenste Mensch von Gott erwecket werden aus der Wüstenei seines Herzens, herfürbrechen und eiferen unter den wollüstigen Zartlingen, die viel herter sind dann Adamantenstein, die Warheit anzunemen.“ (Thomas Müntzer)


Am Ende dieses Textes über die „wahre Gelassenheit“ schreibt Böhme milder und toleranter:


„Eine Historia ist der ietzige Glaube. (…) Ach es ist nur ein historischer Glaube, und eine lautere Wissenschaft, und vielmehr eine Kitzelung des Gewissens“ (2;51), so „daß der rechte Glaube seit Christi Zeiten niemal kräncker und schwächer gewesen, als eben jetzund: Da die Welt doch laut schreyet: Wir haben den rechten Glauben gefunden; und zancken um ein Kind, das böser nie gewesen ist (gemeint ist der Zank - TI), seit daß Menschen auf Erden gewesen sind.“ (2;52)


Im Begriff der „Gelassenheit“, der in Böhmes Gesamtwerk freilich nicht im Zentrum steht – seine kurze Schrift wirkt wie ein längerer Send-Brief als Antwort auf ein auch damals populäres Schlagwort – haben wir eine der wenigen direkten Zugänge, seine Denkwege mit unseren zu vergleichen. Das Wort „Ruhe“ etwa, das wir mit dem der Gelassenheit verbinden, kommt bei Böhme in diesem Kontext nicht vor. Die quietistische, ja pietistische Ruhe als Gelassenheit wird wenig später nach Böhme in die Selbst-Erfahrungsliteratur eingeführt. Nur wenige Jahre nach der Entstehung seiner Schriften findet sich die Ruhe als Gegenpol zur Selbstheit bei Angelus Silesius:

„Die Unruh kombt von dir.
Nichts ist das dich bewegt / du selber bist das Rad /
Das auß sich selbsten laufft / und keine Ruhe hat.“

Umfang: 23 Seiten, Sämtl. Schriften Band 4.
Überliefert in Böhmes eigener Handschrift (Universitätsbibliothek Breslau). Zur Zeit beste Ausgabe: Jacob Böhme: Die Urschriften. Herausgegeben von Werner Buddecke. Erster Band. Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag, 1963.

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