In einem Brief an Caspar Lindner, Himmelfahrt (März) 1621, hebt Böhme diese kurze Schrift besonders hervor:
„wie die 3 Principia sich ineinander gebären und vertragen, also, daß in der Ewigkeit kein Streit ist, und wol ein iedes in sich selber ist; Und wovon Streit und Uneinigkeit herkomme; wovon Gutes und Böses urstände; gantz aus dem Ungrunde, als aus Nichts ins Etwas, als in Grund der Natur eingeführet. Dieses 6te Buch (in der Reihe seiner Schriften) ist ein solches Geheimnis, wiewol kindlich ans Licht gegeben, daß es keine Vernunft ohne GOttes Licht gründen wird. Es ist ein Schlüssel zu A und O (Allem).“ (Brief 12;71)
Hier ist Böhme ganz spekulativer Philosoph, kaum Theologe. Er schreibt „kindlich“, im Sinne von unschuldig und unbelastet anderer Quellen und Bezüge. Er stellt sich seine Fragen unmittelbar. Diese kurze Schrift von rund 80 Seiten fasst seine Lehre von der Dreiheit in allen Dingen recht unabhängig von konfessionellen Konventionen zusammen, und gibt sich daher voraussetzungslos und sehr frei. Es findet sich kein direkter Bibelbezug, der dem Schreiben in anderen Werken Böhmes Halt und Orientierung gibt. Daher lässt sich kaum besser als hier die kreiselnde Gedankenarbeit Böhmes beobachten. Auch die in anderen Werken ausführlich besprochene „Qualitätenlehre“ fehlt hier völlig.
Das umklammernde Motiv des Textes, sein Aufmacher ist – wie an mehreren Stellen seines Werkes - eine Baum-Allegorie. Sie steht für Wünsche und Fährnisse der Menschheit:
„So haben wir unsern Zweigen und Mit-Aesten, in unserm Baume, darinnen wir alle stehen, und daraus wir alle wachsen, unsern Saft, Ruch und Essentz mittheilen wollen, daß unser Baum des Paradeises groß würde, und wir uns untereinander freueten, und daß je ein Ast und Zweig den andern für dem Sturm helfe bedecken; geben wir allen Kindern dieses Gewächses in diesem Baum freundlich zu erwegen, und thun uns in ihre Liebe und Gewächs empfehlen.“
So endet die Vorrede. Die sechs Punkte lauten, in modernen Worten:
1. Beschreibung der drei Prinzipien in Zeit und Ewigkeit
2. Das simultane Ineinander-Wirken der drei Prinzipien
3. Der Widerstreit als Weg in die „Finsternis“ (auswegloser Dualismus)
4. Die Suche nach Einheit der Prinzipien im Menschen (Synthese)
5. Ein einzelnes Leben kann verderben oder sich umwenden
6. Selbsterkenntnis und Freiheit, Beschreibung von vier Sünden
In immer neuen Ansätzen versucht er die theologisch bekannte „Dreyeinigkeit“ als jene zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist auf die Ganzheit der Schöpfung zu projizieren, die in Böhmes Terminologie stets „das dreifache Leben“ oder die „drei Prinzipien“ bedeuten. Böhme stellt sich selbst die Aufgabe, diese theologische Standardformel der Trinität innerhalb seiner Schöpfungslehre zu integrieren. Die übliche Trinität aus Vater, Sohn, Heiligem Geist ist dem christlichen Glauben eine - wie auch immer formulierte - einheitlich positive Erfahrung. Die drei-Prinzipien-Lehre Böhmes jedoch enthält die Negativität des Bösen, indem es in Licht, Finsternis und Erdenwelt, so die kürzeste Formel der Böhmischen drei Prinzipien, integriert ist. Wir haben also zunächst an zwei Dreier-Systeme zu denken, die Böhme aber ohne Trennschärfe stets ineinander sieht. Diese Herausforderung an die Nachvollziehbarkeit prägt besonders die Schriften um 1620.
Die drei-Prinzipien-Lehre ist, im Unterschied zur Trinität, bei Böhme erstens die Finsternis, der blinde Wille, das Feuer, der Ungrund, zweitens das Licht, in dem sich dieser Ungrund erkennt, und drittens: „So erkennen wir das dritte Principium, als die Qual dieser Welt, mit den Sternen und Elementen für ein Geschöpfe, aus den Wundern der ewigen Weisheit.“ (2;3)
Mit dem Thema der Trinität setzte die zweite Schreibperiode Böhmes ein, und hier bringt er sie auf den Punkt, bzw. auf jene sechs „theosophischen“ Punkte.
Böhme spricht vom „Willen zur Angst“ (2;2), der die beiden ewigen Prinzipien kennzeichnet, er bemüht Gegensatzbilder wie „Auge“ und „Spiegel“, Grimm und Liebe, „Hitze und Kälte“ (1;7) und formuliert eine energetische Anziehungskraft, die stellenweise wie die vorweggenommene Prosafassung späterer Gravitationslehre klingt: „Was in der Bewegung der Grimm erreichte, das ward mit zur Erdkugel geschaffen: darum findet man vielerley darinnen, Böses und Gutes, und geschicht oft, daß man kann aus dem Aergsten das Beste machen, weil das Centrum Naturae darinnen ist …“ (2;9)
Das Centrum Naturae ist das Kraftzentrum aller Dinge, in denen die ewigen beiden Prinzipien wirken. Mithilfe der „Imagination“ (2;10 und an vielen Stellen seiner Schriften), die sich sehr von der „Phantasey“ des Teufels unterscheidet, können wir uns mit den beiden Prinzipien des Ewigen verständigen, das in allem vorhanden ist:
„Wir finden Gut und Bös, und finden in allen Dingen das Centrum Naturae, als die Angst-Kammer: vornemlich aber finden wir den Geist der grossen Welt in zweyen Qualen…“ (2;7)
„Allso ist das äussere Principium nur ein steter Krieg und Zanck, ein Bauen und Brechen; was die Sonne, als das Licht, bauet, das zerbricht die Kälte, und das Feuer verzehret es gar.“ (2;51)
Die Punkte drei und vier, der Unterschied zwischen auswegloser „Wiederwärtigkeit“, sodann die Aussicht auf die Einheit in der Trinität, stellen eine Gedankenfigur vor, die wie eine dialektische Lehre wirkt, sofern Böhme den ausweglosen Dualismus aus Gut und Böse zur Trinität als Synthese ausbaut. Da, wie oben zitiert, die Erdenwelt inklusive Natur und menschlicher Sphäre jenes dritte Prinzip darstellt, in dem sich der Widerstreit entscheidet, historisiert er seine Drei-Prinzipienlehre von einer transzendenten zu einer innerweltlichen.
Als bündiger, überschaubarer Text ist er auch für neue Jacob-Böhme-Interessierte noch zu entdecken.
Umfang: 82 Seiten, Sämtl. Schriften Band 4.
Überliefert in mehreren Abschriften. Zur Zeit beste Ausgabe: Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Herausgegeben von Will-Erich Peuckert/August Faust. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730. Vierter Band. Stuttgart: Friedrich Frommanns Verlag, 1957.