Über die Werke

Von der Menschwerdung Jesu Christi

 

Von der Menschwerdung Jesu Christi

Trinität als Trilogie


Die Menschwerdung Christi, dieses zentrale Motiv christlichen Glaubens, demzufolge Gott in seinem Sohn Mensch geworden ist, um mit seinem Leben auf der Erde Vorbild und Opfer zugleich zu sein, beschäftigt Böhmes Argumentation außerordentlich und auf eine bestimmte Art und Weise. Das Werk, der umfangreichsten eines nicht, dafür eines, um dessen Aussage der Schreiber ringt wie in kaum einem anderen, wird dreiteilig präsentiert. Den holländischen Herausgebern ist dieses Werk 1682 gleich drei Titelkupfer wert: Für den ersten Teil, die Geburt und Menschwerdung, zeigt das Bild die kosmische Trinität wie einen glücklichen Triumph über der Erde. Für den zweiten Teil, Christi Leiden, Sterben und Tod, zeigt ein krasses Bild ein abgeschlachtetes Lamm, dem das Blut wie ein Regen aus einer Wolke fällt. Für den dritten Teil schließlich zeigt ein Bild den „Baum des Glaubens“, der in der Sternenregion ankert, ins Paradies hineinwächst, und die finstere Welt verdrängt. (vgl. nebenstehende Abbildungen)


Diese Trilogie entspricht einem christlich-naturphilosophischen Programm. In drei Schritten wird der Gegenstand behandelt:


„Denn unsere gantze Religion stehet in dreyen Stücken, die wir treiben und lehren, als erstlich von der Schöpfung, was Essenz, Wesen und Eigenschaft der Mensch sey (…)? Und dann zum andern, weil so viel von seinem Fall geredet und gelehret wird, wir auch sehen, daß wir um des Falls willen sterblich sind, auch der Bosheit und Grimmen-Qual unterworfen (…).
Und denn zum dritten, weil uns GOtt wieder will zu Glauben nehmen, um welches willen Er auch hat Gesetze und Lehre gegeben, und die mit großen Wunderthaten bestätiget (…).“ (MW 1;9,2-4)


Den Dreischritt aus Schöpfung, Krise (Fall) und Glaube versucht Böhme in seinem Werk von der Menschwerdung in verschiedenen Modellen zu deklinieren.


Das Leben Jesu wird jedoch nicht nacherzählt, kaum dass Böhme die Evangelien reflektiert, weder in dem, worin sie sich einig sind, noch in ihren Unterschieden. Böhme erzählt nichts von den Gleichnissen, weder die Weihnachtsgeschichte, noch annähernd episch die Leidensschichte, die in der Kreuzigung kulminiert, nichts von der Auferstehung, den Aposteln, der Himmelfahrt. Der Täufer Johannes wird nicht genannt, kurz nichts, was episch oder erzählbar wäre aus der Geschichte, in der Christus als Mensch handelte, wird näher erwähnt. An Maria ist das Rätsel der Jungfrauen-Mutter ungleich interessanter als etwa ihr Leben. Ihr Bezug zu Eva, als ihre gefallene Gegenfigur, ist ihm mehrere Kapitel wert, ebenso Adam als gescheitertem und gleichsam umgekehrtem Christus sind mehrere Kapitel gewidmet, keines etwa den Jüngern.

Probleme mit der Geschichte


Nicht die – biblische – Geschichte erzählt Böhme, sondern er reflektiert den Zusammenhang von Gegenwart und Geschichtlichem. Mit philosophiehistorischem  Recht interpretiert er das Wort von der „Mensch-Werdung“ als Prozess, als etwas sich Entwickelndes, und riskiert ein theologisch widersprüchliches Gottesverständnis. Denn zu seinem Werden steht die Unabänderlichkeit Gottes im Gegensatz, so dass Böhme wiederholt fragt, ob…


„…sich sein eigen Wesen habe in der Menschwerdung verändert, denn GOtt ist unveränderlich; und ist doch worden, was er nicht war.“ (MW 1;1,1)


Unserem Verständnis zufolge, oder mit Böhmes Wort: der „äussern Vernunft“ folgend, kann ein Wesen entweder unveränderlich und vollkommen sein, oder es „wird“, ist einem Wandel unterworfen. Im Titel von der Mensch-„Werdung“ steckt bereits dieses Bekenntnis, dass Böhme von einem statischen Gott abrückt und die Möglichkeit des Werdens auch Gott und den seinen zubilligt, logisch ein Widerspruch, der mit der Frage beginnt:


„Es muß ja eine grosse Ursache seyn, darum sich der unwandelbare GOtt hat beweget.“ (MW 1;5,1)


Der Beginn einer Geschichtsphilosophie tritt uns hier entgegen. Ihr erster Gedanke versucht zu erklären, warum eine Gottheit in die Geschichte überhaupt korrigierend eingreifen muss. Im Werden vermutet Böhme eine Entwicklung, denn ob sich das historisch Entfernte (das in der Bibel erzählt wird) durch das Eingreifen Gottes in die Geschichte nur fortschreibt, oder ob sich auch für die Gottheit etwas ändert, entscheidet sich durch die teilnehmenden Subjekte, durch uns.


An mehreren Stellen dieses dreiteiligen Werkes warnt er vor der bloß „historischen Wissenschaft“ (MW 3;1,2), die ihre „Geschichte“ mit Vernunft erzähle, also logisch und nachvollziehbar, aber als etwas nur Vergangenes. Eine uns naheliegende Frage – nebenbei - wäre, ob Böhme mit biblischer Geschichte auch die reale Historie ineins setzt. Biblische Geschichten können „Gleichnisse“ für Wahrheiten sein, die auch in unserer Lebensgeschichte gelten. Mit Realhistorie jenseits des biblischen Kontextes beschäftigt sich Böhme kaum. Die in der Bibel erzählte Geschichte, so vermute ich, wird für Böhme identisch mit der Realgeschichte jener Zeit gewesen sein. Böhmes „Mysterium Magnum“ von 1623 etwa erzählt die Geschichte des ersten Buches Mose in historischer Interpretation.


Was aber „wird“ in der Menschwerdung, worin „beweget“ sich die Gottheit? Der zentrale Gedanke des Werks fußt auf die Ewigkeit Jesu Christi auch vor seiner Geburt. Ja, der „Sohn“ als Teil der Trinität, der „drey Principien“ steht für eine überhistorische Schöpfungsdimension. Der „Sohn“ des grimmigen Ungrunds stößt sich als Kraft von diesem ab – so können wir zusammenfassen - und wirkt dabei ständig auf Natur und Menschenwelt. Ähnlich wie die Gleichzeitigkeit aller sieben Qualitäten (vgl. unsere Darstellung zur „Qualitätenlehre“ Böhmes) ist auch die Menschwerdung – zwar in der Bibel mit dem Leben Jesu einmal erzählt – ein stets gleichzeitiger, naturhaft simultaner Vorgang. Die Menschwerdung Christi ist die große und ständige Gegenstrategie Gottes gegen den Fall Lucifer, von Anfang an, bis zu den letzten Tagen der Apokalypse. Dies ist der Grund, warum in diesem Werk kein Evangelium nacherzählt wird, etwa indem die Geburt zu Bethlehem diese „Menschwerdung“ wäre, sondern es geht um die Darstellung eines überhistorischen kosmischen Prinzips.


Gesteigert wird diese „Menschwerdung“ durch die (biblische) Vorgabe, dass sich Gott in Christus opfert und einem weiteren Vorwurf aussetzt, nicht allmächtig zu sein.


„Die äussere Vernunft spricht: Wäre es dann nicht  gnug gewesen, daß GOtt in uns Mensch ward, warum muste Christus leiden und sterben? Vermochte denn GOtt nicht den Menschen also im Himmel mit der neuen Geburt einzuführen? Ist denn Gott nicht genug allmächtig, daß Er thue was Er will? Was hat doch GOtt für einen Gefallen am Tod und Sterben, daß Er nicht alleine seinen Sohne am Creutz hat sterben lassen, sondern wir müssen auch alle sterben?“ (MW 2;1,1)

 

Menschwerdung in Selbstbehauptung


Ebenso wie das Werden als Prozess, Thema des ersten Teils des Werkes, spricht der zweite Teil das Leiden als weiteres Stichwort an, das droht, die Allmacht und gleichzeitige Güte Gottes zu dementieren. Bei Böhme ist Gott ein zugleich leidender wie werdender. Das liest sich dann so:


„…dann der Feuer-Geist heisset sein Grimm, Zorn, und wird nicht GOtt genannt, sondern ein verzehrend Feuer der Macht Gottes.“ (MW 1;5,16)


Gottes Zorn ist bei Böhme ein wütendender, zielloser Wille, der plötzlich, so könnten wir uns ausmalen, gleichsam in einen imaginierten Spiegel schaut:


„Nicht geschicht (geschieht – TI) die Schwängerung im Spigel, sondern im Willen, in des Willens Imagination: Der Spigel bleibet ewig eine Jungfrau ohne Gebären, aber der Wille wird geschwängert mit dem Anblick des Spigels.“ (MW 2;2,2)
Daraus, aus diesem Zusammenprall beider Prinzipien, entsteht etwas Drittes. Aufgeladen mit alchimistischen Termini überschlagen sich manchmal die Wortassoziationen:


„Des Feuers Tinctur gibt Seele, und des Lichts Tinctur gibt Geist; und das Wasser als die Wesenheit Leib, und Mercurius, als das Centrum Naturae, gibt das Rad der Essentien, und das große Leben im Feuer und Wasser, himmlisch und irdisch, und Sal himmlisch und irdisch erhälts im Wesen, denn es ist das Fiat.“ (MW 1; 5,2)
Diese Essentien (oder „Qualitäten“) sind eine „Qual“, mit welchem Wort Böhme keine Wertung verbindet, sondern Übergangs-Vorgänge. So heißt es von Gott:


„Er hat nur eine Qual, das ist Liebe und Freude; aber sein Grimm, als die Natur, hat viel Qualen, darum sehe ein jeder zu, was er thut. Es ist ein ieder Mensch sein eigener GOtt, und auch sein eigener Teufel: zu welcher Qual er sich  neiget und einergibt, die treibet und führet ihn, derselben Werckmeister wird er.“  (MW 1;5,26)


Hier haben wir den nächsten zentralen Gedanken dieses Werkes: Der Mensch ist potenziell sein eigener Gott, potenziell aber auch dessen Gegenteil. Die Menschwerdung Christi endet mit dem Anspruch des Menschen, „sein eigener Gott“ sein zu können. Kirche als Institution zwischen den Menschen und den himmlischen Mächten würde dann nicht mehr benötigt. Böhme formuliert scharf am Rand der Ketzerei, der Häresie, für die seine Gegner ein feines Ohr gehabt haben werden.


Das Ineinanderwirken dieser kosmischen wie naturhaften Vorgänge beschreibt Böhme nicht nur in diesem Werk erotisch:
„Das Weib hat eine wässerige Tinctur, und der Mann eine feurige: Der Mann säet Seele, und das Weib Geist, und beyde säen Fleisch, als Sulphur, darum ist Mann und Weib Ein Leib, und machen beyde ein Kind, und darum sollen sie beyde beyeinander bleiben, so sie sich einmal mischen, denn sie sind ein Leib worden.“ (MW1;6,11)


Dieses Werk von der Menschwerdung erzählt nicht, es ringt vielmehr darum, die ewigen Prinzipien der Schöpfung und des Ineinander von Gottheit und Natur auf Jesu Leben und Sterben anzuwenden. Christus spielt in Böhmes Naturphilosophie eine zentrale Rolle, bereits in der „Aurora“ – Böhmes erstem Werk - steht das Kreuz als geometrisches Symbol in Verbindung mit den Gleichnissen der Schöpfung als Kugelräder, deren Speichen wir uns wie ein Kreuz vorstellen können. In der Qualitätenlehre der Aurora ist bereits Jesus Christus mit der zweiten und der sechsten Qualität konnotiert: der zweiten als „Angststachel“, der sechsten mit dem Hall und Ton der Schöpfung. Dies ist es, was Böhme beschäftigt: Jesus Christus als das „Ewige Wort“ Gottes. So haben die Schüler Böhmes denn auch folgerichtig den Titel „Menschwerdung“ mit „de Incarnatione Verbi“, also Verkörperung des Worts, übersetzt. Es geht auf Johannes 1, 14 zurück: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“


Jedoch harmonisch wird solch ein Weg nicht begehbar sein. Die Menschwerdung Christi in jedem einzelnen kann zu Spott, Verachtung und Verfolgung führen.

„Dieses alles muß der Mensch, so zu GOtt will, nichts achten; er muß dencken, daß er in einem fremden Lande unter den Mördern ist…“ (MW 3;5,5)


Jacob Böhme entkoppelt das Christsein von theologischer oder kirchlicher Legitimität und versetzt diesen Werde-Vorgang in die Prinzipien der Natur. Die so inspirierte Seele benötigt dann in der Tat keine Schullehre über diese Zusammenhänge mehr, und Böhme wird recht deutlich:


„Merckets, ihr Philosophi, es ist der wahre Grund und hocherkant; mischet keinen Schul-Tand darein, es ist helle genug: Meinung thuts nicht; aber der wahre Geist, aus GOtt geboren, erkennet das recht.“ (MW 1;5,18)
„Wir müssen aus der Vernunft ausgehen, und in die Menschwerdung Christi eingehen, so werden wir von GOtt gelehret. Alsdann haben wir Macht, von GOtt, Paradeis und Himmelreich zu reden…“ (MW 1; 4,3)



Umfang: 221 Seiten (3 Teile), Sämtl. Schriften Band 4.
Überliefert in mehreren Abschriften. Zur Zeit beste Ausgabe: Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Herausgegeben von Will-Erich Peuckert/August Faust. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730. Vierter Band. Stuttgart: Friedrich Frommanns Verlag, 1957.

 

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