Zu Lebzeiten Böhmes gab es noch keine Titelkupfer zu seinen Werken, von denen fast alle posthum in Druck erschienen sind. Die hier verwendeten Titelkupfer stammen aus der Ausgabe der Werke Böhmes von 1682.
Die große, von Johann Wilhem Überfeld besorgte Ausgabe der Schriften Böhmes von 1730, die bis heute verwendet wird, enthielt zunächst keine Titelkupfer. Dies verwundert angesichts der für damalige Verhältnisse vorbildlichen Vollständigkeit einer Werkedition. Erst nachträglich bringen die Herausgeber 1731 ersatzweise eine…:
„Andeutung oder Erklärung der Titel-Figuren und Kupfer, welche des hocherleuchteten Jacob Böhmens Schriften holländischer Edition beygefügt sind, und nunmehro auch bey dieser gegenwärtigen neuen Auflage den Liebhabern derselben mitgetheilt werden.“
Über die uns seltsam anmutende Entscheidung, zwar die „Erklärung“ der Titelbilder zu edieren, nicht jedoch die bildlichen Figuren selbst, rechtfertigen sich in der Ausgabe von 1730 die Herausgeber darüber mit folgenden Worten:
„Nachdem diese verbesserte und vermehrte Edition (von 1730 – TI) aller Schriften des seligen Jacob Böhmens völlig ausgefertiget war / bedauerten viele / daß die Kupfer, welche bey dem Amsterdamer Druck von Anno 1682 verschiedenen Tractaten vorangefüget worden / dißmal wegbleiben sollten, und meinten / daß der Vollständigkeit dieser neuen Auflage auf solche Weise etwas abginge. Ob nun gleich bereits in der Erinnerung / die gegenwärtiger Edition vorgesetzt (…), was es mit diesen Kupfern vor eine Bewandniß habe / und solches ein ieder, der diese Schriften lesen will / wohl erwegen mag; so hat doch endlich ein andrer Freund erachtet / es würde von denen / die wieder (= gegen – TI) diese Kupfer sind, nicht so arg gedeutet werden können / wenn man bey sothaner Warnung den Liebhabern / welche die fremden Kupfer dennoch darbey zu haben wünschten / zu Willen wäre. Wie nun selbige ihnen hiermit zugleich übergeben werden; als die zum wenigsten als eine Zierde dieser Schriften seyn können / ob sie schon nicht von des Autoris Geist herstammen sollten; so hat man diese Figuren nicht weniger auch mit den Erklärungen / welche dort von den Erfindern über iedes Kupfer gemacht und gleich beygefüget worden / anbei noch versehen / iedoch aber alle lieber alhier zusammen drucken lassen wollen: und mögen diese Blätter nach Belieben entweder bald nach dem Haupt=Titel vorangesetzt / oder aber hinten an das dreyfache Register mit angebunden werden. Solchergestalt wird dann nunmehro niemand wegen der noch hinzugethanen schönen Kupfer=Stiche sagen können, daß gegenwärtige Edition dißfalls mangelhaft sey. Ich wünsche aber darbey auch herzlich / daß ieder einen rechten Gebrauch davon machen möge.“
Dieser Erklärung zufolge läge um 1730 nicht etwa ein finanzielles oder technisches Hindernis vor, diese hochartifiziellen und in ihrer Art wohl einmaligen Titelfiguren zu verwenden, sondern ein inhaltliches Bedenken: Ihre bildliche Aussage könnte den Worten Böhmes nicht entsprechen. Obwohl in der Geschichte der Buchillustrationen stets der Vorbehalt bekannt ist, dass Illustrationen und ihre textuelle Vorlage nie die gleichen Aussagen treffen, ist in diesem Fall offensichtlich die Reserve gegen die Titelfiguren erheblicher. Der Entscheidung, sie wegzulassen, könnten Debatten um die prinzipielle Abbildbarkeit von Böhmes Texten vorangegangen sein. Immerhin handelt es sich bei Böhmes Texten, so der zeitgenössische Titel der Werke, um „Alle Göttlichen Schriften“ des als „hocherleuchtet“ geltenden Jacob Böhme.
Ein anderer Grund hat mit inhaltlichen Überlegungen nichts zu tun. Zwischen Michael Andreae, dem mutmaßlichen Schöpfer der Kupferstiche, und Johann Georg Gichtel, einem der Herausgeber der Ausgabe von 1682, war es nach dieser Edition zum Bruch gekommen. Andreae wurde für ihn zur Unperson, die er auch für den mit Gichtel befreundeten Johann Wilhelm Überfeld, den Herausgeber der Ausgabe von 1730/31, zeitlebens blieb. Noch 10 Jahre nach dessen Tod im Jahr 1720 war Überfelds Aversion gegen Andreae „...so groß, daß dessen Illustrationen bei der Neuauflage von Böhmes gesammelten Werken unter dem Titel Theosophia revelata (1730) nur mit knapper Not beibehalten wurden. Die alten Platten, die zu Huygens' Zeit in einer Kiste unter den Auroren lagen, wurden schließlich doch nachgestochen und ein Jahr später (1731) erschienen die Stiche in einem Ergänzungsband unter dem Titel Andeutung oder Erklärung der Titul-Figuren [...]. Es ist jedoch nicht unmöglich, daß dies gegen den Willen Überfelds geschah, der am 19. Juli desselben Jahres starb." (Frank van Lamoen: „Der unbekannte Illustrator: Michael Andreae“. In: Theodor Harmsen (Hg.): Jacob Böhmes Weg in die Welt. Amsterdam: In de Pelikaan, 2007, S. 259. Dort finden sich zahlreiche Abbildungen zu Böhmes Werken).
Dieser Zusammenhang kann hier nur angedeutet werden. Der kunsthistorischen Forschung eröffnet sich hinsichtlich der Böhme-Illustrationen noch ein interessantes Feld.
Günther Bonheim / Thomas Isermann
1 = Vgl. die Ausführungen von: Frank van Lamoen: Der unbekannte Illustrator Michael Andreae. In: Jacob Böhmes Weg in die Welt. Herausgegeben von Theodor Harmsen. Amsterdam, In de Pelikaan 2007, S. 159. Dort finden sich auch die Bildbeschreibungen in der Fassung der Ausgabe 1682.
Die Abbildungen finden sich auch in: Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730 in 11 Bänden. Begonnen von August Faust, neu herausgegeben von Will-Erich Peuckert. Stuttgart 1942 – 1961. In dieser Faksimile-Edition wurden die Titelfiguren von 1682 mit aufgenommen. Diese Ausgabe ist die nach wie vor immer noch maßgebliche Gesamtausgabe der Schriften Böhmes.
Vgl. auch: Christoph Geissmar: Das Auge Gottes. Bilder zu Jacob Böhme. Wiesbaden 1993
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