Neue Bücher zu Jacob Böhme in den Jubiläumsjahren 2024/25 sind rar. Die schöne Doppel-Ausgabe zur großen Ausstellung 2013 in Dresden gibt es nur noch halbiert als Illustrationswerk. Der Essay-Band ist vergriffen.
Hervorzuheben ist nun die im Erscheinen begriffene Reihe im frommann-holzboog-Verlag „Jacob Böhme. Perspektiven der Forschung“, herausgegeben von Claudia Brink und Lucinda Martin im letzten Jahr. Fachgelehrte bilden eine aktuelle Böhme-Sondierung ab. In der Ankündigung heißt es „2021 fand die erste „Internationale Jacob-Böhme-Tagung der Stadt Görlitz“ statt. Sie hatte zum Ziel, den „Grundstein“ für zukünftige Forschungen über den „einflussreichsten deutschen Philosophen vor Leibniz“ zu legen“.
„Grundstein“ ist ein wenig hochtrabend, als ob solche Studien jetzt erst richtig und geordnet stattfänden. Die Internationale Jacob Böhme Gesellschaft betreibt Forschungen wenigstens seit 2007 mit den „Böhme Studien“. Die jüngste Ausgabe erschien auch im vergangenen Jahr: „Über die Gelassenheit“.
Jacob Böhme hat sich im Verlauf etwa der letzten 20 zur einem Asset bei der Beschäftigung mit der Frühen-Neuzeit gemausert. Der Zugriff von Philosophie, Literaturwissenschaft oder Historikern befreit den Theosophen aus dem Nebel der Hermetik und schweren Zugänglichkeit. Sein wohlfeiles Dissidententum passt gut in die akademische Wahrnehmung: sein Zeitgenosse Gregor Richter, der Stadtpfarrer von Görlitz, wird als Antagonist verklärt, Böhme als unbeugsamer Geist, der unter der lutherischen Orthodoxie leiden muss für… ja wofür? In einer weitgehend säkularisierten Gegenwart sind beide, Richter und Böhme, religiöse Seelen, für die das Licht der Aufklärung noch nicht richtig angebrochen ist. Böhme gilt dabei als Fundamentalist, der die Kirche für hartherzig, uninspiriert und heilshinderlich hält. Die protestantischen Kirchen der Gegenwart haben sich auf den Friedenspfad zu Böhme begeben, grundsätzlich bleiben sie aber auf Distanz zum Görlitzer „Freigeist“.
Umso interessanter, dass ein katholischer Alttestamentler, Prof. Thomas Elssner, vor einigen Monaten „Jakob Böhme zur Einführung“ im Herder Verlag publiziert hat. Der Referatsleiter für Grundsatzfragen im Kath. Militärbischofsamt bringt als gebürtiger Görlitzer eine Lokalkompetenz mit, die den Text profiliert. Er widmet der Stadt sein Buch.
Die oberschlesische Lausitz ist eine Gegend, die auch nach der Reformation unruhig bleibt. Ein Milieu der Schwärmer und Gottsucher umgibt Böhme, zu dem er sich aber nie ausdrücklich bekennt. Seine geistlichen Aufbrüche erlebt er für sich, in direktem Kontakt mit dem Geiste „der Lust zu ihm hat gehabt“. Elssner vergleicht ihn mit Augustinus, der mit seiner persönlichen Glaubensbestandsaufnahme so wichtig für das Christentum war.
Die Ausstrahlung von Böhmes Gedanken im England des 17. Jhdts. , u.a. auf Gottfried Arnold und Georg Gichtel über den Pietismus bis ins 20. Jhdt. - ist auf 160 Taschenbuchseiten bleibt immer wieder erstaunlich, zu verfolgen. Elssner vergegenwärtigt ihn als Görlitzer Figur, die in ihrer Umgebung unterwegs war. Seine weiteste Reise wird wohl nach Dresden gewesen sein, ansonsten blieb der Schuster bei seinem lokalen Leisten. Aber dann: aus Sachsen hinaus in die Welt.
Elssner hat in der DDR Theologie studiert. So bespricht er am Ende die Böhme-Rezeption in diesem verblichenen Teil Deutschlands und hat damit ein Thema, das so noch nicht besonders aufgefallen wäre. Ein jeder Böhmianer kennt zwar den Görlitzer Kunstwissenschaftler Ernst-Heinz Lemper, aber über ein Böhme-Symposion 1974 in der Stadt hat man noch selten etwas erfahren. Auch der historische Materialismus kam an Böhme nicht vorbei. Die Würdigung etwa des DDR-Kirchenhistorikers Eberhard-Hermann Pältz korrigiert weiter die Annahme, die DDR sei ein Niemandsland der Böhme-Rezeption gewesen.
Eine zuverlässige Gliederung des Buches macht die Einführung Elssners zu einer gewünschten Böhme-Kontaktaufnahme. Gar nicht so selbstverständlich angesichts eines frommen Philosophen, der nicht zwischen, sondern über den irdischen Geistern zu schweben scheint, mit Auftrieb nach oben und Absinken in die Tiefe. Das macht ihn so anziehend.
Die „Aurora“ oder das „Mysterium Magnum“ müssen wir aber schon selber lesen, uns der Gravitation seiner Textmassen selber aussetzen, was rätselhaft genug bleibt. Den Schwellenübergang hat dieses Buch dennoch erleichtert. Genau richtig zu den Gedenkjahren
Reiner Schweinfurth
Jakob Böhme zur Einführung. Von Thomas R. Elssner
24,00 € eBook (PDF) 24,00 €
Verlag Herder 2024. 160 Seiten.
ISBN: 978-3-451-02442-9