Rezensionen

Rezension Kirche Warlitz Jan von Busch

Die unscheinbare Kirche der Mystik

 

Jan von Busch: Die St. Trinitäts-Kirche zu Warlitz. Geschichte und Bedeutung. Schwerin: Thomas Helmes Verlag 2020. ISBN978-3-940207-54-8. 200 Seiten, 49 €.

 

Das Unscheinbare ist das nur scheinbar Kleine. Wir übersehen es leicht. Denn das scheinbar Kleine kennzeichnet das, was der Dichter Rainer Maria Rilke den Weltinnenraum nennt: jene geistig-eigene Welt, die in unserer Seele mehr Raum einnimmt als draußen um uns herum der Alltag. Paracelsus zufolge ist der kleine Mensch, der Mikrokosmos, eine Entsprechung des großen, des Makrokosmos. Deshalb ist jeder Mensch - anscheinend - nur scheinbar klein. Er hat aber Anspruch auf Beachtung, Respekt und Würde.

Solche Gedanken kommen mir oft, wenn ich mich – selten genug – in Kirchen aufhalte. Kirchenbauten spiegeln unsere Gesellschaft, unser Menschsein, unsere Hierachien: Es gibt große Kirchen, väterlich alte aus der Gotik, kinderzimmerbunte aus dem südlichen Barock, lehrerhaft strenge in reformatorischen Räumen, Kathedralen sind wie Herrscher, denn da wohnen die noblen Bischöfe, doch ganz anders benehmen sich die vielen kleinen Dorfkirchen.

Wenn ich eine Kirche betrete, so habe ich zuweilen das Gefühl, ich würde in einen Kopf hineingehen, dessen Träume darin herumhängen wie Gemälde, Altäre oder Figuren. Jeder Mensch hat einen Altar im Kopf, an dem er seine geistige Speise nimmt, und jeder Mensch hat ein Kreuz in sich, das wie ein schlechtes Gewissen in ihm quer hängen kann. Man sage nicht, diese kleine Meditation habe nichts mit meinem Vorhaben zu tun, Leseeindrücke mitzuteilen über eines der liebevollsten Bücher, die ich seit langem gelesen habe. Denn kosmische Bedeutungen von Kirchenbauten und darin untergebrachte Gegenstände sind der große Innenraum des scheinbar Kleinen. Das Buch von Jan von Busch über die Trinitatis-Kirche zu Warlitz ist derart gut ausgestattet, erklärt derart detailgenau deren Geschichte, dass man sofort Lust bekommt, sich die Kirche anzusehen.

Warlitz liegt zwischen Lauenburg / Elbe und Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 1230 ist der Ort verbürgt, umfasst das Gut und das Dorf Warlitz ab 1422 im Besitz derer von Penitz, 1661 wird es an die Familie Schultz verkauft. Graf von Schultz muss ein sonderbarer Mann gewesen sein, der für den allgemeinen Wohnungsbau nötige Holzlieferungen verweigerte und die Angewohnheit hatte, während des Gottesdienstes seine Untertanen mit einem Holzscheit zu verprügeln. Herzog Christian Ludwig soll eine Untersuchung des Falles wenigstens angekündigt haben. 1686 erbt Valentin von Schultz das Gut, wirtschaftet darauf aber nicht so gut und die Anlage wird von einem Verwalter administriert. Adel schützt vor Pleite nicht. 1734 gelangt das Gut an die Familie Schütz, und es brachen bessere Zeiten an. Philipp Balthasar Schütz gar war ein Schriftsteller, der unter Pseudonymen wie Amadeus Creutzberg oder Irenicus Ehrenkron Satiren und eine schlesische Kirchengeschichten schrieb. 1782 fehlen männliche Erben, das Gut gelangt in den Besitz derer von Veltheim, bereits 1797 wurde es wieder verkauft und blieb bis zur Enteignung 1945 in privater Hand.

Jetzt zögern wir nicht weiter und betreten die Kirche. Ein helles, weiß bemaltes Kirchenschiff mit weißem Orgelkasten und weißem Altar vermittelt eine freundliche Atmosphäre, die man den Fotos entnehmen kann. Ein Kapitel im Buch lautet: „Die theologischen Aussagen der Kirche und ihrer Ausstattung“. Was sind „theologische Aussagen“ bei einer Kirche? Dass der Turm stets nach Westen zeigt, und der Altar nach Osten, entspricht der theologischen Aussage, dass sie zum Lebensraum Jesu Christi zeigt. So ganz stimmt das bei dieser Kirche nicht, wie man liest, sie steht parallel zu einer Straße und weist mit dem hinteren Teil auf das Schloss, das wohl nicht genau östlich zu stehen scheint. Das Gemeindegestühl, die Bänke, auf denen man sitzt, haben ein wellenförmiges Ornament. Diese Wellen gleichen den Wassern der Sintflut, aus denen sich die Täuflinge erheben, um zu den geretteten acht Söhnen Noahs zu gehören. Die Zahl Acht findet sich offenkundig in vielem wieder, im oktogonalen Turm, in der Form des Taufbeckens.

Dies und vieles mehr deute laut dem Verfasser, Jan von Busch, auf eine Tradition des 17. Jahrhunderts, in welchem die Kirche gebaut wurde, die sich „christliche Kabbala“ nennt. Jacob Böhme, Oswald Croll, Robert Fludd und Paul Kaim werden als Gewährsmänner dieser Richtung der Bibelexegese zitiert. Kleine Dreiecke, die bedeutungsvoll aufeinander verweisen und mit dem Namen Gottes in hebräischen Zeichen wie geistige Schluss-Steine das Gewölbe des Glaubens festigen, sind umgeben von goldenen Strahlenkränzen. Die Abstände zwischen Altar-Dach und einem Wolkengebilde mit besagtem Dreieck wirken wie die Entfernungen in einem kosmologischen Planetarium des 17. Jahrhunderts. Sehr einleuchtend hält sie der Verfasser neben solcherlei Abbildungen bei Robert Fludd und Paul Kaim. Zu problematisieren wäre jedoch, in welchem Maß und Umfang etwa Jacob Böhme, der weder latein noch hebräisch konnte, selbst Vertreter einer „christlichen Kabbala“ gewesen sein könnte. Zumal in der Literatur, die der Verfasser zitiert, ist der Grad, zu dem Böhme kabbalistisch geschult war, etwas umstritten. Allenfalls kann gelten, wie Gershom Scholem einst erwähnte, dass Böhmes Nähe zur Kabbala strukturell gegeben ist, weniger in ihren methodologischen Details. Dieses Buch regt aber an, mehr zu erfahren, etwa welche theosophische Prägung der Planer dieser Innenausstattung selbst mitbrachte, nämlich jener Pastor, Architekt und Dichter Heinrich Julius Tode (1733-1797), über den der Verfasser, Jan von Busch, zuvor bereits publiziert hat.

Eines ist so erstaunlich wie doch auch bekannt: Es handelt sich bei dieser Ausstaffierung des Kircheninnern nicht um Bilder, sondern um abstrakte, grafisch und geometrisch auszudeutende Schemen. In der ganzen Kirche hängt kein Bild, am Kreuz kein Jesus Christus, am Altar keine Malerei. Das macht, diese Kircheneinrichtung ist bilderlos, folgt dem radikalreformatorischen Bilderverbot und wirkt auf den Fotos in aller weißer Unschuld ein wenig leer: wäre da nicht die – offensichtlich damals nicht zu den Bildern gezählten – abstrakten Symbolen der Naturmystik. Auch bei Jacob Böhme ist die Frage legitim, ob auch sein Werk einen Bilderstreit reflektiert, und die berühmten Titelkupfer zu seinen Werken von 1682 folgen dem immer abstrakt bleibenden Schema von Grafiken.

Das Buch enthält mehr, als hier nachvollzogen werden kann. Lesenswert sind die Kapitel über die Orgel, das Inventar, das regionale Umfeld, die Geschichte ihrer Restaurationen, sowie über den aktiven Förderverein. Ein umfangreicher Anhang mit guten Recherche-Materialien rundet den Band ab.

All die stille Mystik in der St. Trinitatis-Kirche zu Warlitz würden wir ohne diesen schönen und informativen Bildband, ohne Liebe zum Detail in den Fotos und Erklärungen nicht von allein entdecken. Das Buch regt an, die Kirche zu besuchen, und die Kirche regt an, das Buch zu lesen.

Thomas Isermann

 

 

 

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