Rezensionen

Rezension Heiko Krämer

Heiko Krämer: Jacob Böhme Lexikon.

Ein kleiner Beitrag Jacob Böhme besser zu verstehen. Verlag Magische Blätter, Ronnenberg 2020. 485 Seiten. ISBN 978-3-948594-01-5. Preis: 28 Euro.

Es könnte als ein Zeichen von Demut gewertet werden, wenn der Untertitel eines Werkes der Literaturkommentare sich „ein kleiner Beitrag“ nennt, um seinen Gegenstand, die Schriften Jacob Böhmes, „besser zu verstehen.“ Warum nun heißt dieses Buch im Untertitel also, während es doch stets ein großer Beitrag ist, wenn wir durch ihn Jacob Böhme besser verstehen. Denn hier ist jede Hilfe willkommen. In der Tat: Da ist in aller Stille ein Buch erschienen, das bald zu den wichtigeren der Böhme-Literatur heranwachsen könnte. Warum diese Schüchternheit, wenn es im Vorwort heißt, dass sich das Lexikon "nicht zuvorderst an den akademisch geisteswissenschaftlichen Leser (richtet), sondern steht dem einfachen, an Böhme und geistigen Fragen interessierten Leser zur Seite." (S. 4) Geisteswissenschaftliche Leser wissen sicher auch nicht mehr als andere, im Gegenteil, es ist ehrenvoll, komplizierte Sachverhalte möglichst vielen Menschen gut zu erklären, als sich vor ihnen akademisch gut verpackt zu verstecken. Das zumindest war auch die Meinung Jacob Böhmes.


Wer Jacob Böhme liest, stößt anfangs und ständig auf Wörter, die aus verschiedenen Gründen den Lesefluss hemmen: Es gibt bei ihm Wörter, die heute unbekannt geworden sind, oder die zwar bekannt, aber in ihrer Semantik sich verändert haben, oder Wörter, die Böhme selbst anders in seiner Zeit verstand als üblich, oder solche, die im Verlauf seines Werkes in ihrer Anwendung sich ändern, oder die er einfach falsch verstanden hat: So spricht er in der „Aurora“, seinem ersten Werk, von der „animalischen Geburt“, womit die „seelische“ gemeint ist, weil er anima mit animal verwechselt (vgl. Bericht V, Band 10, S. 81). Oder des Paracelsus Terminus Sal-nitri (Salpeter) wird bei ihm zum Salitter verschliffen. Komplizierte Beispiele wie dem Ternarius Sanctus, das zuerst in den „Drei Prinzipien göttlichen Wesens auftaucht, bewältigt dieses Wörterbuch plausibel durch Mehrfacheinträge bei auseinanderlaufenden Semantiken. Dadurch stehen die Varianten zwar nebeneinander, aber das ist besser als jeder Versuch, in einem Lexikon alles mit allem erklären zu wollen.

Einige Fragen tun sich auf: So sind die meisten Stichworte in unserer modernen Orthographie eingetragen. Die Schreibweisen aber, soweit sie aus den originalen Handschriften Böhmes stammen (die Texte der Buddecke-Edition), werden dadurch nicht abgebildet. Diese hätten mit aufgenommen werden können, Beispiel: „Morgenröte im Aufgang“, original: „Morgen Röte im auffgang“. Oder: Böhme nennt seine wohl von ihm gefertigte Grafik der Seele mal „Philosophische Kugel“, mal „Magische Kugel“, eingetragen ist jedoch nur die „Magische Kugel“, das Wort „Kugel“ wurde nicht aufgenommen, und wird auch unter „Sphaera“ nicht nachgeholt. Zuweilen stehen Hinweise aus der Sekundärliteratur nur mit Namen oder Kurztitel nachgewiesen, aber ohne Seitenzahlen, das erschwert die Prüfung (etwa S. 213 und öfter). Der Eintrag „Kabbalam“ erklärt den Begriff, jedoch Böhme schreibt „Cabala“, und dort fehlen die Textbezüge (sie finden sich in der „Betrachtung Göttlicher Offenbarung 3;34 und 6;11). Der Bezug „Cabalistischer“ in der Schrift „Irrthum der Secten“ (Absatz 469) geht fehl, weil es nicht von Böhme stammt, sondern von ihm aus den Schriften Meths und Stiefels zitiert wird.

Aber das sind alles Kleinigkeiten, die einer ersten Annäherung an Böhmes Schriften, bei der dieses handliche Lexikon behilflich sein kann, nicht im Wege stehen. Zur Erläuterung werden zwei weitere, spätere Quellen zurate gezogen, das Zedler Universallexikon, das ab 1731 erschien, also einhundert Jahre nach Böhme, und die Schriften von Joseph Anton Schneiderfranken (1876 – 1943), der sich Bo Yin Ra nannte und beispielsweise Aspekte fernöstlicher Mystik zu Jacob Böhme beiträgt. Vgl. dazu den Beitrag auf unserer Homepage: weiterlesen

Mit diesem Lexikon haben wir ein viertes Nachschlagewerk zu Jacob Böhme, nach den drei Registern in der Gesamtausgabe von 1730 (Band 11: Register der lateinischen Wörter mit Übersetzung, Register der Bibelstellen und das allgemeine Begriffsregister mit Stellenangaben), und es ist klug, in diesem vierten sich auf die anderen zu beziehen, um das Ergänzungsverhältnis des neuen mit den alten zu unterstreichen.

Zur demütigen Geste, ein „kleiner“ Beitrag nur zu sein, besteht bei diesem Lexikon mithin kein Anlass. Jacob Böhme und seine Schriften erfuhren in den letzten Jahren ein enormes Interesse. Die Rezeptionswellen der Werke Böhmes schlagen immer höher, anfangs religiös-theologisch (im Pietismus), dann auch ästhetisch-philosophisch (in der Romantik), nunmehr historisch-philologisch. Vielleicht ist Böhme nie intensiver gelesen worden als heute. Je spezialisierter die Forschungen werden, umso wichtiger ist es, zwischen Wissenschaft und Lesern zu vermitteln. Wenn, wie es in der Bibel heißt, am Anfang das Wort stand, so stehen die Wörter auch stets am Anfang aller Lektüre, die das Leben ändern kann. Dieses Lexikon über Terminologie und Wortgebrauch Jacob Böhmes von Heiko Krämer ist informativ, hilfreich, leicht zu verwenden, und mit 28 € wohlfeil zu haben.

Thomas Isermann

 
 

 

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