Von einem Balthasar Tilke oder Tölcke wissen wir wenig Verlässliches. Er muss, wie die Titelei bei Böhme andeutet, ein Schlesier von Adel sein, der über einige theologische Bildung verfügte. Böhme wendet sich in dieser ersten Schutzschrift gegen Tilkes „Pasquill“ (Schmähschrift) über die „Aurora“. Leider ist uns keine Schrift von Tilke überliefert, außer Passagen, die Böhme selber zitiert, um sie sodann zu widerlegen. Indirekt können wir schließen, dass Tilke Böhmes Berufung, als Erleuchteter zu schreiben, anzweifelte, denn über diesen Vorwurf rechtfertigt sich Böhme zuallererst:
„Ich verstund zuvor wenig die hohen Glaubens-Artickel, nur als der Layen Art ist, vielweniger die Natur; bis mir das Licht in der ewigen Natur anhub zu scheinen; davon ich so lüsterend ward, daß ich anfing und wollte mir mein Erkentniß zu einem Memorial aufschreiben.“ (Vorrede; 27)
Bereits in der Aurora spielt er die Bedeutung seiner Schriften als „Memorials“ (Tagebücher, Merkbücher) herunter, gewiss auch, um dadurch ihre Verbreitung nicht allein verantworten zu müssen. Besonderen Vorwurf handelt Böhme sich ein, Jesus Christus indirekt in die Kräfte der Natur, in die menschlichen Seelen, in den ständigen Schöpfungskampf zurückzuholen, während Tilke offensichtlich eine strikte Trennung sieht:
„Mit solchen Reden verfinstert dieser Geist (Böhme – TI) den Unterschied zwischen der himmlischen, reinen, und der irdischen, verdorbenen, unreinen Geburt und Natur.“ (1; 222)
Dieser Vorwurf trifft recht eigentlich ins Zentrum der Philosophie Böhmes, die seine eigene Berufung, sich zu äußern, mit der Gnade verbindet, die das Göttliche ihm gewährt. Aus der engen (reformatorischen) Prädestination, dernach jedem Mensch sein Schicksal im Guten oder Bösen vorbestimmt ist, befreit sich derjenige, den Gott erwählt, in der Erleuchtung zu stehen. Die „Gnaden-Wahl“ steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Böhmes göttlicher Erlaubnis, überhaupt zu schreiben:
„Nicht eben um meinet willen, sondern um derer willen, so er (Tilke – TI) mit seinem neidigen Feuer angestecket und vergiftet hat, und ihnen gantz irrige Meinungen, sonderlich von der Gnaden-Wahl Gottes, hat eingeschoben: So gebühret mir meine Meinung zu erklären, wie ichs in Göttlicher Erkenntnis ergriffen habe, und es auch der wahre Grund und Apostolische Grund-Feste ist.“ (Vorrede; 15)
Dem damals aktuellen Thema der „Gnadenwahl“ hat Böhme eine eigene, umfangreiche Schrift gewidmet (siehe dort), hier wendet er sich gegen die calvinische Prädestinationslehre, dernach Aufstieg oder Fall, Gut oder Böse, vorherbestimmt sei. Er referiert Tilke, der offensichtlich gesagt hat,
„… die Gnaden-Wahl sey den Kindern Christi ein grosser Trost, wenn sie Gottes Gnade in sich fühlen, als den Weibes-Samen (Herkunft von Maria – TI): wo bleibet aber der Angefochtene vom Teufel? Der möchte in euren Schriften wol verzweifeln; Er dachte immerdar, er wäre aus Adams Samen, GOtt wollte seiner nicht.“ (1;360)
Denn für die in Prädestination Verdammten bleibe keine Hoffnung auf Erlösung; der berufene Schreiber aber, Böhme, auch als akademisch Unkundiger, erlebt die Gnaden-Wahl als Befreiung des Schreibers. Dies ist der Kern der Schutzschrift gegen Tilke: eine Rechtfertigung seiner Emanzipation aus reformatorischer Bevormundung, wie er sie in der Prädestinationslehre gesehen hat.
Umfang: 100 Seiten, Sämtl. Schriften Band 5.
Zu einem kleinen Teil überliefert in Böhmes eigener Handschrift (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel), vollständig überliefert in mehreren Abschriften. Zur Zeit beste Ausgaben: Jacob Böhme: Die Urschriften. Herausgegeben von Werner Buddecke. Erster Band. Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag, 1963 [Böhmes Autograph], Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Herausgegeben von Will-Erich Peuckert/August Faust. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730. Fünfter Band. Stuttgart: Friedrich Frommanns Verlag, 1960 [vollständiger Text].